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Sperrmüll macht selig

■ Arne Rautenberg mit „Der Sperrmüllkönig“ im Machtclub

Ein schräger Vogel, der nachts die Mülltonnen der Stadt nach Verwertbarem durchkämmt. Ein Sammler von Technikschrott und Stinker, der sich nicht wäscht und mit seiner Begeisterung für Mülltonnen Misstrauen und Missachtung bei seiner Umwelt erzeugt. Ein Borderliner, würde man ihn pathologisch einstufen wollen. „Hartmut Hellmann hält einen Schatz vergraben. Der Schatz seines Ichs liegt im Grab seines Ichs. Er ist sein eigener Wächter. Er wacht über seinen Tod im Leben. Und er wacht gut.“ So beginnt das Romandebüt Der Sperrmüllkönig des bisher vor allem mit Lyrik bekannt gewordenen Arne Rautenberg.

Der Ich-Erzähler teilt sich den Hausflur mit seinem sonderbarem Nachbarn. Der gute Hausgeist aus dem 3. Stock, der dem Erzähler unverhofft eine Schreibmaschine schenkt, tagsüber die Straße im Blick behält, wenn der Postbote kommt, aber auch der Spanner, der nachts durch Briefschlitze linst und in fremde Wohnungen schleicht.

„Der Klebstoff der Neugier“ ist geweckt, und Gegenmaßnahmen werden getroffen. Beobachtung erfordert Gegenbeobachtung. So umkreist einer den anderen, man kommt sich näher, aber es bleibt doch klar, wer hier wen erfindet. Hartmut Hellmann wird vom Erzähler immer mehr überirdischer Glanz angedichtet, also bleibt nur ein tragisches Ende für ihn bestimmt. Spermüll macht selig. Müll, in Zeiten der Wiederverwertung, lässt sich auch als Gleichnis für Tod und Wiedergeburt lesen. Die Erlösung des Königs, die Metamorphose von Sein in Nichts.

Wem's hier zu transzendental wird, der sei beruhigt. Kein langatmiges Finale; dem Erzähler Rautenberg gelingt vielmehr eine spannende Montage mit schnellen Gegenschnitten in den Kreißsaal zur Geburt der eigenen Tochter. Leichtigkeit, selbstironischer Witz und ein gutes Rhythmusgefühl bestimmen Rautenbergs autobiografische Alltagsbeobachtungen. Das Handwerk des Lyrikers scheint keine schlechte Schule für den Romancier. Vom „Dreisilber Rautenberg“, wie Großdichter Gernhardt ihn neulich freundlich in der Zeit titulierte, steht dieses Jahr noch einiges an Lyrik und Kurzprosa zur Veröffentlichung an. Rautenberg, 67-iger Jahrgang, war bisher Stipendiensammler (was nicht gegen ihn spricht) und Publikumsliebling des Christine Lavant-Lyrikpreises vergangenen Herbstes. Einen leibhaftigen Eindruck kann man heute Abend im Machtclub gewinnen, wenn Arne Rautenberg seinen Roman vorstellt. Frank Will

heute, 20 Uhr, Mojo; Arne Rautenberg, Der Sperrmüllkönig, Hoffmann und Campe, 17,90 Euro

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