: Auf der Wiese liegen, kiffen
Das Leben zwischen Nebenjobs, Protestdemos und Traumpartnern in Argentinien: „Un dia de suerte“ (Forum)
Früher oder später trinkt ein jeder Wurzelpeter und irgendwann weiß man dann wieder, dass man doch ins Delphi gehört, vor allem natürlich, wenn der Film, den man sich da anschaut, so lebendig, so echt und unausgedacht wirkt wie das Spielfilmdebüt der argentinischen Regisseurin Sandra Gugliotta.
„Un dia de suerte“ (Ein Glückstag) spielt im heutigen Buenos Aires und erzählt, vor dem Hintergrund sozialer Proteste gegen Arbeitslosigkeit, Verarmung und Stromsperren, von vier jungen Leuten aus dem gefährdeten Teil der Mittelklasse, die sich mit Gelegenheitsjobs und Kleinkriminalität über Wasser halten. Sie verkaufen Luftballons, verteilen Reklamezettel für idiotische Vitamindrinks, besorgen sich mit gefälschten Rezepten Rohypnol und Prozac zum Weiterverticken, klauen Kreditkarten und liegen manchmal bekifft im Gras der Pampa und gucken sich die Wolken an. Elsa, die 25-jährige Heldin (Valentina Bassi) mit den schönen Lachgrübchen, hat dieses Leben satt. Sie träumt von Italien; da lebt der Typ, mit dem sie vor Jahren eine Nacht verbracht hatte. Außerdem ist ihr Großvater gebürtiger Italiener; ein Anarchist, der einst von Sizilien nach Argentinien kam, um hier ein besseres Leben zu finden.
Ein Problem nur: woher das Geld fürs Flugticket nehmen; ein anderes: sie ist ja auch irgendwie mit Walter, einem „Organisator“ für dies und das, zusammen.
Mit großer Zärtlichkeit und ohne Pathos erzählt Sandra Gugliotta von der Unentschiedenheit dieser Beziehung, die so realistisch zwischen Freundschaft und Liebe oszilliert, von jungen Leuten und alten linken Kämpfern, die im Aufruhr plötzlich wieder aufleben und das Gefühl haben, die Zeit der „Ideen“ würde nun wieder anbrechen. Und sie erzählt von Buenos Aires in Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs.
Nach allerlei Turbulenzen bekommt Elsa das Geld für den Flug zusammen und sucht in Rom und Palermo nach dem Mann ihrer Träume, der so heißt wie die Waschmaschine auf einer hochhaushohen Reklame zu Beginn des wunderbaren Films.
„Ein Glückstag“ ist mit einer beweglichen, halbdokumentarischen Kamera gedreht und wechselt zwischen inszenierten und dokumentarischen Passagen. Die Aufnahmen aus Buenos Aires, die Zimmer und Straßen und Imbisse, die Demonstranten, die auf Kochtöpfe schlagen, die brennenden Barrikaden und die Gesichter der Helden stimmen einen sehnsüchtig. Das alles ist echt und wahrhaftig, auch in der Inszenierung. Ein anderer argentinischer Film konnte wegen des Staatsbankrotts nicht zur Berlinale kommen.
DETLEF KUHLBRODT
„Un dia de suerte“. Regie: Sandra Gugliotta. Argentinien 2002, 95 Min.
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