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Hie verzaubert, da verhext

Nach dem zweiten Olympiasieg des Schweizers Simon Ammann haben sich die Hierarchien im Skispringen geändert und das deutsche Team des gestürzten Sven Hannawald ist ins Grübeln geraten

aus Park City MATTI LIESKE

„Ich hatte Glück, weil Sven Hannawald Pech hatte“, gab Matti Hautamäki freimütig zu, nachdem der finnische Skispringer von der 120-m-Schanze Bronze gewonnen hatte, weil der deutsche Kollege beim allerletzten Sprung der Konkurrenz das Gegenteil einer Bauchlandung hingelegt hatte. Völlig ohne Glück kam Simon Ammann aus. Der Schweizer hatte sich den Sieg redlich, wie das die Art seines Volksstammes ist, verdient und hätte auch ohne Hannawalds Sturz gewonnen. Die 131 Meter, die der Deutsche zum Abschluss hingelegt hatte, wären zwar für die Silbermedaille noch vor dem Polen Adam Malysz gut gewesen, nicht aber für Gold.

„Ich hatte schon viele Hochs und Tiefs“, sagte Sven Hannawald anschließend, „aber das ist jetzt ein richtiges Tief.“ Vor allem, weil es so unerwartet kam. Den zweiten Platz auf der 90-m-Schanze, ebenfalls hinter Ammann, hatte der Schwarzwälder noch locker weggewischt, auf weitere Siegchancen verwiesen und darauf, dass ihm die größere Schanze viel besser liege. Der zweite Triumph des Schweizers wirbelte jedoch die Hierarchien im Skispringen bereits zum zweiten Mal in diesem Winter gründlich durcheinander. In den ersten Wochen hatte Adam Malysz alles gewonnen, dann trat plötzlich Sven Hannawald auf den Plan, holte sich in nie dagewesener Manier sämtliche Siege bei der Vierschanzentournee und schien für den Rest des Winters unschlagbar, nur um plötzlich einem vorwitzigen Schweizer, mit dem niemand gerechnet hatte, weichen zu müssen.

Wie sehr der zweite Platz auf der kleinen Schanze trotz aller gegenteiligen Beteuerungen an ihm genagt hatte, zeigte Hannawald schon im ersten Durchgang. Pflegte er in den Wochen zuvor der Konkurrenz Sprung für Sprung mit geradezu unverschämter Leichtigkeit davonzufliegen, reichte es in Park City nur zum Patt mit Ammann. In der zweiten Runde musste er dann nach dem Schweizer starten, und nicht nur dieser denkt, dass das Unheil damit seinen Anfang nahm. „Man ist viel angespannter, weil alles schon gelaufen ist und nur noch dieser eine Sprung entscheidet“, sagte Ammann, „ich glaube, dass das ein Grund ist, warum er gestürzt ist.“ Zuletzt war Hannawald mit solchen Situationen glänzend fertig geworden, doch der vor lauter Willen, es zu zwingen, verkrampfte Sprung veranschaulichte lehrbuchhaft, wie es kommt, dass der eine Springer plötzlich verzaubert scheint und der andere verhext.

„Wenn man einmal Olympiasieger ist, geht alles leichter“, sagte Ammann fröhlich grinsend, „es war eine ganz andere Situation, fast schon normal.“ Eine Lockerheit, die man offenbar benötigt, um einen Satz hinzulegen, wie es sein zweiter auf 133 m war. „Ich habe noch nie einen so guten Sprung gemacht in einem wichtigen Wettkampf“, freute sich der 20-Jährige, der 1998 in Nagano 35. und 39. geworden war. „Ich bin in die Luft gekommen und habe sofort gemerkt, das ist der Sprung. Ein wundervolles Gefühl, endlich mal.“ Erst im Januar war Ammann in Willingen schwer gestürzt, hatte sich eine Gehirnerschütterung zugezogen und seitdem keinen Wettkampf mehr bestritten. Seiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg in Salt Lake City. „Ich hatte Zeit, mich auf Olympia einzustellen, habe versucht, mir den ganzen Ablauf vorzustellen.“ Überhaupt habe das Schweizer Team sich intensiv auf die Spiele vorbereitet und wegen Olympia auch mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. „Wir haben zum Beispiel ein besseres Krafttraining gemacht“, sagt Ammann, der mit seinen 55 kg bei einer Größe von 1,72 m noch nicht unbedingt wie Goliath aussieht, sondern, wenn er seine Brille trägt, nach einhelliger Meinung der US-Medien wie Harry Potter.

„Die Schweiz ist berühmt für ihre guten Banken“, scherzte der Olympiasieger, als er gefragt wurde, wofür er das viele Geld ausgeben wolle, das ihm jetzt winke. Nicht berühmt war die Schweiz bisher für ihre Skispringer, die letzte Olympiamedaille holte der legendäre Herrgottschnitzer Walter Steiner 1972. Im ganzen Land gibt es keine 120-m-Schanze, ein Lieblingsthema der eidgenössischen Skispringer, die emsige Lobbyarbeit für den Bau einer solchen betreiben. Ammann hofft, dass seine Triumphe jetzt den Durchbruch bringen. „Wie Adam für Polen gesagt hat, braucht es den Erfolg, um etwas auszulösen.“

Und der ist noch gar nicht endgültig definiert. Nachdem Andreas Kuettel Sechster von der Großschanze wurde und sich auch Sylvain Freiholz und Marco Steinauer für den Wettkampf qualifiziert hatten, ist das Team der Schweiz zu einem Medaillenkandidaten für das Teamspringen am Montag auf der 120-m-Schanze avanciert. „Wir haben einen richtig guten Drive bekommen“, so Ammann. In Nagano waren die Schweizer Sechste, diesmal könnten sie den favorisierten Deutschen, Finnen und Österreichern ohne weiteres auf die Pelle rücken, zumal gerade Letztere bisher schwer enttäuschten. Doch auch Austrias Hüpfer haben sich eine Menge vorgenommen. „Mannschaftsspringen ist was Eigenes“, weiß Martin Höllwarth, „ich bin zuversichtlich.“ Das ist mehr, als nach dem Verlust der Hannawald’schen Unantastbarkeit und der Schmitt’schen Spitzenplatzgarantie – von der Großschanze wurde Martin Schmitt Zehnter – das deutsche Team von sich behaupten kann.

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