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Ossis, Frauen, Pferde: SPD, olé

Spitzenkandidat bekommt 98 Prozent, Spitzenmänner kämpfen für Frauenquote, Spitzennachricht ist erfolgreich platziert. Parteitag nach Wowereits Geschmack

Wenn das Radio meldet, der verhasste Erzrivale habe ein Tor kassiert, jubelt das ganze Fußballstadion. Die Zuschauer vergessen das schwache Nullnull vor ihren Augen und weiden sich ein paar Minuten am fernen Schaden des Gegners.

Kurz vor 1 Uhr erreicht den SPD-Parteitag die Nachricht von der Niederlage Diepgens auf der zeitgleich stattfindenden CDU-Veranstaltung. Von Genosse zu Genosse springt die Nachricht. Beinahe enthemmt ist die Reaktion der Parteiführung auf Diepgens Scheitern: Unglaublich tief muss der ehemalige Regierende Bürgermeister seine früheren Koalitionspartner gedemütigt haben. Der amtierende Regierende Klaus Wowereit schafft es, wenigstens vor Mikrofonen und Kameras seine Schadenfreude halbwegs im Zaum zu halten. Parteichef Peter Strieder hingegen macht – geht es um Diepgen – auch öffentlich aus seiner Mördergrube kein Herz. Die zweite gute Nachricht des Tages, die Übernahme der Reiterstaffel durch den BGS, freut besonders Wowereit. Der Regierende, der im März einen harten Sparhaushalt vorlegen muss, war es Leid, über jeden Vierbeiner einzeln streiten zu müssen.

Eigentlich ging es darum, die Berliner Liste für die Bundestagswahlen zu beschließen. Wolfgang Thierse, 59, ist als Bundestagspräsident der zweite Mann im Staat und der Erste auf der Liste. Er spricht von der „Tradition sozialdemokratischer Friedenspolitik“ und immer wieder von „Ostdeutschland“. Für Ostdeutschland hat Thierse einen Spezialparteitag organisiert, für Ostdeutschland will er die Förderung bis 2020 verstetigen. Berlin ist für Thierse nur ein Teil von diesem Ostdeutschland. Damit scheint die Berliner SPD sehr einverstanden zu sein: 98 Prozent der Delegierten stimmen für Thierse. Christine Bergmann ist auch aus Ostdeutschland und außerdem Bundesfamilienministerin. Das qualifiziert sie für Platz 2. Bei Platz 3 droht einen Moment lang Ärger, als eine Rednerin den Kandidaten Ditmar Staffelt als „Konstrukteur der Bankgesellschaft“ bezeichnet. Staffelt ist aber seit kurzem Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister. Deutliche Mehrheit und Glückwünsche für Staffelt. Petra Merkel gewinnt Platz 4, einen so genannten Frauenplatz. Die Parteiführung hat den „Reißverschluss“ durchgesetzt, ein Verfahren, nach dem jeder zweite Platz auf der Liste mit einer Frau besetzt werden muss. Bei der Vergabe der Senatsposten wurden Frauen unterproportional berücksichtigt, dringend befriedet werden muss also die AsF, eine Organisation von Westgenossinnen älteren Semesters. Die Afa-Vorsitzende Mechthild Rawert landet auf Platz 6.

Um Platz 5 aber gibt es das große Hauen: Siegfried Scheffler kandidiert, ein Unscheinbarer, der aber schon dreimal in Ostberlin die PDS geschlagen hat. Eckhardt Barthel, Kulturexperte der Bundestagsfraktion, außerdem Klaus-Uwe Benneter, prominenter Parteilinker. Und Detlef Dzembritzki. Und Andreas Matthae, einziger Kandidat unter vierzig Jahre. Er soll den strategisch wichtigen Ost-West-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg holen. Ihn unterstützt Parteichef Strieder. Im zweiten Wahlgang siegt Matthae. ROBIN ALEXANDER

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