: „Ulla Schmidts Versprechen ist nichts wert“
Der Attac-Gesundheitsexperte Harald Klimenta warnt davor, die Arbeitgeber ihren Anteil an der Gesundheitsversorgung herunterfahren zu lassen
taz: Was hat Gesundheit mit dem Attac-Thema Globalisierung zu tun? Gesundheitssysteme sind doch stark national geprägt.
Harald Klimenta: Das Gesundheitssystem bietet eine einmalige Möglichkeit zu zeigen, wie Globalisierung sich auf das Wohl und Wehe des Einzelnen auswirkt. Hier ist so klar wie kaum irgendwo zu beweisen, dass mit dem Argument „Standort“ die Arbeitgeber die Macht haben, ihre Interessen durchzusetzen – zu Lasten der Krankenkassenbeitragszahler, aber auch zu Lasten der Patienten.
Das heißt, Attac will anhand des entzündeten Blinddarms zeigen, wie Globalisierung funktioniert? Ist das nicht ein bisschen billig?
Nein. Es ist notwendig. Im Gesundheitssystem werden die Folgen neoliberaler Globalisierung für jeden spürbar. Die Arbeitgeber wollen ihren Anteil an der Gesundheitsvorsorge weiter herunterfahren. Die Folge davon wird eine gesetzliche Minimalversorgung plus eine private Zusatzversorgung für Wohlhabende sein – wie in den USA. Das kommt einer Teilprivatisierung des Gesundheitssystems gleich. Dadurch wird Ungleichheit vergrößert, wie immer bei einer Privatisierung. Alle sozialen Initiativen und Gewerkschaften müssen deshalb dieses Thema jetzt besetzen, denn nach den Wahlen ist es zu spät für blinden Aktionismus.
Wieso? Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat doch versprochen, mit ihr werde es keine Zweiklassenmedizin geben.
Das Versprechen ist nichts wert. Ulla Schmidt wird es ergehen wie den SPD-Politikern, die im Wahlkampf 1998 versprachen, dass es keine Privatisierung der Rente geben werde. Das Ergebnis kennen wir. Ulla Schmidt wird also entweder den Forderungen nachgeben, die Gesundheitsversorgung in Grundleistungen für alle und Wahlleistungen für die Zahlkräftigen aufzuteilen. Oder sie wird nicht Gesundheitsministerin bleiben.
Statt die Ministerin zu unterstützen, kritisiert Attac ihren Plan, den Kassen freizustellen, mit welchen Ärzten sie zusammenarbeiten wollen. Ist Attac gegen die Entmachtung der Ärztekartelle?
Ja und nein. Wir glauben, dass im Gesundheitswesen keine marktwirtschaftliche Konkurrenz zu etablieren ist, wenn man die Patienten unabhängig von ökonomischen Interessen heilen will. Das jetzige Machtgefüge zwischen Kassen, Ärzten, Politik und Pharmaindustrie zugunsten der Kassen zu verschieben hieße, ein Übel durch das andere zu ersetzen.
Attac ist auch gegen das heißeste Schmidt-Projekt: die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf Fallpauschalen.
Wenn die Krankenhäuser nur noch pauschal nach den Kosten pro Krankheitsfall bezahlt werden und die Liegedauer des Patienten keine Rolle mehr spielt, wird die gesamte Behandlung ökonomisiert werden: Die Menschen werden weniger nach ihren Bedürfnissen behandelt als bisher. Wenn ein Patient langsamer heilt als im Durchschnitt, könnte er eben im anbehandelten Zustand entlassen werden.
Mit Verlaub: Erstens kalkulieren die niedergelassenen Ärzte jetzt schon, was ihnen die Behandlung eines Patienten bringt. Und zweitens handeln auch die Krankenhäuser ökonomisch, indem sie die Leute so lange liegen lassen, bis das Bett wieder gefüllt werden kann.
Niedergelassene Ärzte machen viel Überflüssiges, je stärker der ökonomische Druck wird, desto weniger Vertrauen kann man in deren Behandlung haben. Auch ist es ein Unterschied, ob die Kliniken die Patienten einen Tag zu lange liegen lassen, um den Tagessatz zu kassieren, oder einen Tag zu wenig, um die Fallpauschale nicht zu sprengen. Überlegen Sie, was gefährlicher ist.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN
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