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Parallelwelt in der Innenstadt

Studie untersucht Obdachlosigkeit als eigene Lebensweise  ■ Von Ariane Dandorfer

Mensch ist doch immer wieder erstaunt, was es alles gibt: eine ethnologische Untersuchung der Obdachlosigkeit in der Hamburger Innenstadt zum Beispiel. Genau die hat die Hamburger Professorin Dr. Waltraut Kokot erstellt und am Montagabend in der Jakobikirche präsentiert. Was ein sezierender Blick sein könnte, der Bettler als Exoten wahrnehmen kann, entpuppt sich als Versuch, aus einer nicht alltäglichen Perspektive Einblicke in eine spezifische Lebensweise zu gewinnen.

Kokots Fachgebiet versteht sich als vergleichende Wissenschaft von menschlicher Kultur schlechthin und beschränkt sich schon lange nicht mehr auf ethnische Gruppen, wie die Ethnologin gleich am Anfang ihres Vortrags erklärt. Unter ihrer Federführung haben ihre Mitarbeiter Martin Gruber und Felix Axter die „Kultur der Obdachlosigkeit“ im Gebiet Mönckebergstraße und Spitalerstraße mit der Methode der Feldforschung untersucht.

Bei ihren Besuchen an den Treffpunkten und Schlafplätzen stießen die Forschenden auf Obdachlose, die sich freuten, dass sich die Öffentlichkeit für ihr wirkliches Leben interessiert. Obdachlosigkeit bedeutet schließlich mehr als nur Wohnungslosigkeit. Um das Überleben auf der Straße zu organisieren, muss ein bestimmter Aufwand betrieben werden. Gewisse Regeln des Zusammenlebens müssen eingehalten werden, sonst muss man sich eine neue Gruppe suchen. Mit der Zeit spinnt sich um eine Clique herum ein Netzwerk von mehr oder weniger regelmäßigen Gästen. Zwei bis drei Männer bilden so eine Art eigenen Haushalt.

Dass die Obdachlosenszene von Männern dominiert wird, liegt auch daran, dass Frauen ihre Obdachlosigkeit besser kaschieren können. In den Augen von Kokot wäre dieses Thema Stoff genug für eine eigene Studie.

Über die Gruppe vom Gertrudenkirchhof drehte Martin Gruber gemeinsam mit Jochen Becker einen Dokumentarfilm, in dem das soziale Leben auf der Straße mit Tanzen, Feiern, gemeinsam Zeitung lesen und dazwischen immer wieder den Frust beklagen, lebendig eingefangen ist. „Zu idyllisch“, befand nach der Vorführung in der Jakobikirche ein Besucher, der das Leben draußen aus eigener Erfahrung kennt. Andere Obdachlose hingegen fanden ihre Problematik angemessen dargestellt und empfahlen dem Kritiker, „Tatort“ zu gucken, wenn er spektakuläre Szenen über Beklautwerden und andere Widrigkeiten des Lebens sehen möchte.

Schon allein die Tatsache, dass „Auf-Platte-Lebende“ und Ehemalige sich in die Diskussion ein-klinkten, nahm der Veranstaltung den sterilen Touch einer wissenschaftlichen Darstellung. Wobei der nüchterne Ansatz der Studie trotz erkennbarer Parteilichkeit vor Mitleidswallungen schützt. Die sind auch nicht das Ziel der Studie, genauso wenig wie Patentlösungen zum Umgang mit Obdachlosigkeit.

In Auftrag gegeben hatte das Projekt Michael Rose von der Stadtmission. Er will den in kleiner Auflage herausgegebenen Bericht beim Runden Tisch der Jakobikirche verwenden. Diese Einrichtung will zwischen den Parallelwelten der Geschäftsinhaber und Citymanager und derjenigen vermitteln, die in den Geschäftseingängen wohnen.

Broschüre und Film können überall, wo eine Auseinandersetzung zu dem Thema läuft, eingesetzt werden. Erhältlich beim Ethnologischen Institut der Universität Hamburg, Tel.: 4 28 38-57 41.

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