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„Der Kampf geht weiter“

Auf dem Städtischen Friedhof Pankow wurde gestern Martha Strasser zu Grabe getragen. Sie war Krankenschwester und eine Kämpferin der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg

von PHILIPP GESSLER

Vorwiegend heiter ist es in Südspanien. In der Gegend um Alicante steigt das Thermometer auf 14 Grad. Bedeckt ist der Himmel in Pankow, es regnet und ist kalt, nahe null. Auf dem Städtischen Friedhof weht der Wind, der Frühling ist noch weit. Die etwa 30-köpfige Trauergemeinde sucht Schutz im Warteraum mit Heizung neben der backsteinernen Aussegnungshalle. „Man trifft sich ja immer zu solchen Anlässen“, sagt jemand. „Ich habe unter der Martha gewohnt“, erinnert sich ein alter Mann. Ein Altersgenosse macht zwischen den Trauernden die Runde, verteilt russisches Konfekt. Viele halten sich an ihren Blumensträußen fest. Nelken sind darunter. Rote natürlich.

Martha Strasser wird zu Grabe getragen, „Kämpferin der Internationalen Brigaden in Spanien 1936–1939“, wie es in der Todesanzeige im Neuen Deutschland heißt. Fast 92 Jahre alt ist sie geworden – ein gesegnetes Alter, könnte man sagen, aber das passt hier nicht. Auch wenn die schwarze Urne mit ihrer Asche in der Aussegnungshalle unter einem großen Kreuz steht: Keine Orgel, nichts Kirchliches ist zu hören. Dafür zunächst der Gefangenchor aus „Nabucco“ vom Band. Die überdeutliche Stimme des DDR-Sängers Ernst Busch, begleitet von einer Trompete, besingt die Spanienkämpfer: „In dieser letzten Stunde lasst uns von den Gefallenen Abschied nehmen“, erklingt von einem Tonträger, „der Kampf geht weiter, bis die Festung fällt.“

Neben der Urne und den Blumengebinden am Kopf der Halle steht ein Vertreter der „Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik e.V.“ mit einer Fahne der Spanienkämpfer – Rot-Gold-Violett, die Farben der Spanischen Republik. Es ist die Fahne der 11. Brigade, in der deutschsprachige Sozialisten gegen den Faschismus Francos kämpften. Der Beerdigungsredner Klaus Westendorf vom „Fachverband für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur e.V.“ ergreift das Wort. Der ausgebildete Journalist erinnert leicht sächselnd an das Leben der Verstorbenen.

Geboren wurde Martha in eine saarländische Bergarbeiterfamilie mit zehn Kindern. Zunächst arbeitet sie als Hausmädchen, heiratet 1933 den Bergmann Hermann Drumm und emigriert mit ihm nach Frankreich, als das Saarland wieder zu Nazi-Deutschland fiel. Schließlich war sie seit ihrer Jugend in sozialistischen Verbänden, trat 1929 der SPD bei. Als „mit Duldung der großen kapitalistischen Länder“, wie der Redner sagt, General Franco in Spanien gegen die Republik putscht, empfinden dies etwa 50.000 Freiwillige aus der ganzen Welt als Aufruf, in den Internationalen Brigaden gegen den Faschismus und für die Demokratie zu kämpfen. Martha macht eine Ausbildung als Krankenschwester, geht mit Hermann über die Pyrenäen nach Spanien und arbeitet für die republikanischen Truppen in Lazaretten.

Ihr Mann Hermann fällt am 1. September 1937 an der Front, drei Monate später bringt Martha nahe Alicante ihren Sohn Hermann zur Welt. Sie besiegt das Kindbettfieber, hilft als Krankenschwester in einem Kinderheim in Katalonien, steckt sich mit Typhus an und überlebt auch dies. Martha lernt den Genossen Sepp Strasser aus Bayern kennen und zieht mit ihm nach der Niederlage der republikanischen Truppen nach Südfrankreich. Als deutsche Truppen auch diese zunächst freie Zone besetzen, geht sie mit ihrem Mann in den Untergrund, lebt mit Hilfe französischer Freunde vier Jahre in der Illegalität. Auch der Résistance hilft sie.

Nach dem Krieg lässt sich Martha zunächst im Saarland nieder, dann in Bayern. Ihr Mann wird hauptamtlicher Mitarbeiter der KPD, sie verkauft Haushaltswäsche und arbeitet im Stadtparlament von Rosenheim mit. Als die KPD 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten wird, siedelt die Familie, zu der nun auch die Tochter Katja gehört, auf Beschluss der Partei in die DDR über. Hier wird Sepp Strasser Kaderleiter in einem Betrieb in Karl-Marx-Stadt, Martha engagiert sich für die ehemaligen Spanienkämpfer. Ihr Mann stirbt 1968, sie folgt 1974 ihrer Tochter nach Berlin.

In der DDR, so sagt es der Beerdigungsredner, sah Martha Strasser „ihre Ideale von sozialer Sicherheit und Menschenrechte verwirklicht“. Einer Diskussion über die Widersprüche des Arbeiter-und-Bauern-Staates habe sie sich verschlossen – war überrascht vom „Macht- und Besitzwechsel“ 1989/90. Sie habe erleben müssen, wie ihre Ideale „missbraucht, missachtet und später verspottet“ worden seien. Die ihr in späten Jahren verliehene Florence-Nightingale-Medaille des Roten Kreuzes in Genf und die Ehrenbürgerschaft Spaniens hätten ihr jedoch gut getan. Viele hätten dieses „anstrengende Jahrhundert“ nur über sich ergehen lassen, endet die Rede Westendorfs: „Sie aber hat Partei ergriffen, und deshalb gehört sie zu jenen, die man im Gedächtnis behält.“

Dann geht es hinaus zum Grab, vorneweg ein Bestattungshelfer mit der Urne, der Redner und die Fahne der 11. Brigade. Es regnet noch stärker als zuvor, einige Trauernde spannen ihre Regenschirme auf. Nach etwa zehn Minuten erreicht der Trauerzug eine bemoste Wiese am Rande des Friedhofs. In einer Reihe fast identischer Grabsteine aus Granit wurde eine kleine Grube ausgehoben. Der Bestattungshelfer lässt die Urne sacht in die Erde gleiten. Die Trauernden legen ihre Sträuße neben das Grab, greifen in einen Korb voller Blüten und werfen sie ins Grab. Manche weinen, einige umarmen sich. Fast minütlich zieht ein Passagierflugzeug dröhnend über den Friedhof hinweg. Ein Eichhörnchen hüpft über die Wiese, hinauf auf eine Fichte.

Martha Strassers Sohn Hermann Drumm geht zurück zum Auto. Mit ihm will er zur Gastwirtschaft, wo sich die Familie noch mal treffen möchte. Der frühere Oberstleutnant der NVA und Lehrer an der Offiziershochschule im sächsischen Kamenz sagt, seine Mutter habe ihre Ideale nie verraten. Bei ihr seien sie „vom Herzen“ gekommen, während man sie in der DDR „mehr über die Theorie“ gewonnen habe. Deshalb hätten viele nach 1989 so schnell diese Ideale hinter sich lassen können. Ob sie das verbittert habe? „Wer war nicht verbittert?“, fragt Drumm. In Spanien ist schon Frühling.

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