: Diagnose: Fernwehsucht
Kein Politmagazin, keine Boulevard-Luschis: Seit zwölf Monaten setzen sich die „ZDF.reporter“in Szene und berichten bevorzugt aus fremden Ländern (ZDF, 21 Uhr). Ein Redaktionsbesuch
aus Mainz PEER SCHADER
Fußball kann Steffen Seibert nicht ausstehen. Nicht, weil er sich nicht dafür interessiert. Das zwar auch. Schlimmer aber ist, dass ihm die Zuschauer wegbleiben, wenn anderswo der Ball rollt. „Wenn ich morgens in der Fernsehzeitung sehe, dass auf RTL die Champions League läuft, ist mir der Tag schon verhagelt“, sagt der „ZDF.reporter“-Chef. Dabei hat er eigentlich noch ganz andere Probleme.
Neulich etwa, dass in Addis Abeba das Flugzeug notlanden muss, in dem sein Reporter Peter Kunz sitzt. Der soll an jenem Abend in der ZDF-Sendung aus Goma berichten. Daraus wird jetzt freilich nichts. Die wenige Tage zuvor von Lavamassen begrabene Stadt im Kongo ist nach der Notlandung nicht mehr rechtzeitig zu erreichen. Eine neue Sendeplanung muss her.
Seit einem Jahr ist „ZDF.reporter“ nun auf Sendung – als Nachfolger der beiden Vorzeigemagazine „Frontal“ und „Kennzeichen D“, die ins televisionäre Nirwana verfrachtet wurden. Anfangs hielt sich die Begeisterung der Medienkritiker in Grenzen.
„Damals hielten mich viele für den Boulevard-Luschi, der das ZDF in die endgültige Verflachung führt“, erinnert sich Seibert, der vom Seichtmagazin „Hallo Deutschland“ kam. Heute ist er dieses ungeliebte Image los: Vor zwei Wochen bekam der 42-Jährige die Goldene Kamera verliehen, unter anderem für seine Live-Moderation der Ereignisse am 11. September. Die Kritiken der ersten „ZDF.reporter“-Sendungen hingegen waren, mit Verlaub, vernichtend. „Am Anfang haben wir eben viel falsch gemacht“, gibt Seibert heute zu. Erst nach der Sommerpause im vergangenen Jahr verbesserten sich die Quoten: Im zweiten Halbjahr lag der Marktanteil des Magazins durchschnittlich bei 10,8 Prozent, damit aber immer noch deutlich unter dem ZDF-Schnitt von 13 Prozent.
Penisakrobaten
Die Themenmischung der Sendung ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Wer mittwochs um 21 Uhr das Zweite einschaltet, den erwartet eine bunte Mischung. Der Zuschauer muss schon mal einen Gedankensprung von der Stammzellendiskussion zu Penisakrobaten aus Taipeh vollziehen. Koksrazzien auf Bundestagstoiletten, wie sie beim Sat.1-Kollegen Ulrich Meyer üblich sind, braucht man allerdings nicht zu befürchten.
Vom Boulevardjournalismus ist Seiberts Team entgegen anfänglicher Befürchtungen nämlich weit entfernt – allerdings ebenso weit wie vom Anspruch, ein klassisches Politmagazin nach dem Muster von „Frontal“ zu machen. Das Einzige, was heute noch an das Vorgängerformat erinnert, ist ein alter „Frontal“-Aufkleber am Kühlschrank in der Kaffeeküche. Die Selbstinszenierung allerdings ist auch bei „ZDF.reporter“ Konzept. Statt alberner Verbalschlachten, wie sie sich die beiden Politkontrahenten Hauser und Kienzle liefern, stehen beim Nachfolgeformat die Berichterstatter im Vordergrund – und deshalb auch schon mal mitten im Bild herum.
Harald Lüders zum Beispiel. Er ist kurz vor der ersten Sendung im neuen Jahr mit Bildern aus dem russlanddeutschen Asowo zurückgekommen. Lüders ist ein Reporter, wie man ihn sich vorstellt. Einer, der – kaum angekommen – schon wieder weg will. In der Redaktion hängt eine große Weltkarte, auf der mit Nadeln die Orte abgesteckt sind, von denen die „ZDF.reporter“ schon berichtet haben. „Hier waren wir noch nicht.“ Lüders zeigt auf weiße Kartenflecken im Osten Russlands, fernab von jeder Zivilisation. Da würde er gerne als Nächstes hin – er ist nicht der Einzige im Team.
Die Fernwehsucht der Redakteure steht „ZDF.reporter“ gelegentlich im Weg. Denn mit den innenpolitischen Themen tut man sich im ersten Stock des Redaktionsgebäudes auf dem ZDF-Lerchenberg derzeit noch etwas schwer. Das würde Chefredakteur Nikolaus Brender gerne ändern – und hat der Redaktion deshalb angekündigt, „ZDF.reporter“ in der heißen Phase vor der Bundestagswahl als eines der Leitmagazine einsetzen zu wollen.
Schwere Arbeitsform
Spätestens dann dürfte auch hausintern auffallen, dass sich mit dem Magazinneuling nur schwer Themen setzen lassen. Schuld dran ist das Format selbst: die Reportage. Eine Kollegin in der Redaktion bringt es auf den Punkt: „Die Reportage ist eine schwere Arbeitsform. Wir können immer nur die Geschichten erzählen, die uns hier und jetzt selbst passieren.“ Ist ein Thema dann mal nicht so spannend, können acht- bis zehnminütige Beiträge durchaus anstrengen – vor allem, wenn die Zuschauer über Jahre hinweg an dreiminütige Kurzberichte gewöhnt wurden. Daran aber will man auf dem Lerchenberg noch nicht so recht glauben.
Etliche Ablaufänderungen und ein Thunfischsandwich später steht Seibert pünktlich um 20.59 Uhr vor der Kamera und diskutiert eine Stunde danach im Chat-Raum des Sendezentrums wie jede Woche mit den meist jungen Zuschauern über die Sendung. Dumm bloß, dass das ZDF die nicht in Einschaltquoten umrechnen kann – und sich die meisten Chatter statt für die Sendung eher dafür interessieren, ob Seibert verheiratet ist und wie’s seinen Kindern geht. Zuschauerkontakt hin oder her – so was ärgert den Moderator dann schon. Mindestens genauso wie die abendliche Fußballkonkurrenz. Die setzt auch am heutigen Abend nicht aus. Zeitgleich mit „ZDF.reporter“ rollt wieder der Ball. Um 20.45 Uhr, Champions League bei RTL. Zu allem Übel überträgt die ARD auch noch die Olympischen Spiele. Ein doppelt verhagelter Tag.
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