: Ein Satz mit pervers
Aufgesagte Comedy: Wenn Bernd Ludwig in Begleitung von Antonello Marafioti in der Vaganten Bühne Lyrik und Prosa von Robert Gernhardt liest, führen Kunst und Können nur zu schauspielgeschulten Rotweinflecken
„Ein Satz mit pervers? Meine Reime sind sehr teuer, per Vers bekomm ich 100 Eier.“ Hihi. Über den Cartoonisten und Dichter Robert Gernhardt kann man wunderbar kichern. Immer wieder. Am liebsten stillvergnügt zu Hause beim Lesen oder mit albernen, angeschickerten Freunden beim gegenseitigen Lieblingszweizeiler-Rezitieren in einer schnuckeligen Kneipe.
Wieso man Gernhardts prima Bollerreime von einem Schauspieler interpretiert bekommen sollte, warum dazu ein italienischer Pianist klimpern und als Sidekick hin und wieder ein wenig ins Programm radebrechen muss, bleibt auch nach der Premiere von „Hinter der Kurve“ mit Robert-Gernhardt-Texten in der Vaganten Bühne nebulös.
Die vorgetragenen Gedichte, die Geschichten sind allesamt so, wie man sie liebt: „Ein Uhr und noch nichts geschafft / Zwei Uhr und noch nichts gerafft / Drei Uhr und noch nichts gemacht / Vier Uhr und noch nichts gedacht / Fünf Uhr und noch nichts getan – Und um sechs fängt doch schon das Trinken an!“ Einen solchen Reim voller unbedingter Wahrheit und Poesie kann Bernd Ludwig, der auf der Bühne der kleinen Bühne in grauem Jackett, Jeans und rosa Hemd vor einer Flasche Fernet Branca sitzt, nicht wirklich verderben. Aber er macht ihn irgendwie künstlich, er führt die schnodderigen Ulkzeilen, die in verrauchten Kneipen am besten schwingen, mit so viel schauspielgeschulter Verve, so viel manieriertem Können vor, dass sie, anstatt wie lässig aus dem Ärmel eines fleckigen 70er-Jahre-Neue-Frankfurter-Schule-Schriftsstellerjoppe-Ärmels zu flutschen, plötzlich wie aufgesagte Comedy klingen. Und das tut ihnen nicht unbedingt gut, den teuren Versen.
Die Geschichte, die Regisseur und Hauptdarsteller Ludwig und der Musiker Antonello Marafioti (alias Theo) um Gernhardts Spitzenbonmots gebastelt haben, ist ein so wackeliges und wie unnötiges Gerüst: Die beiden sitzen in einer Kneipe, der eine klimpert, der andere säuft. Sie reden über ein schiefhängendes Bild, sie reden über Frauen. Am Ende nimmt Ludwig (alias Robert, der Poet) seine Feinschmecker-Stofftüte und geht. Langweilig ist es nie, was Ludwig und Marafoioti machen: Zu gut, zu spitzfindig, zu punktgenau sind Gernhardts Texte. Und da Marafioti sympathisch ist und schön Klavier spielen kann, da Ludwig genauso sympathisch ist und klangvoll rezitieren kann, schimmert Gernhardts Genialität oft durch.
Vielen im typischen Kleinkunstpublikum gefällt’s ohnehin. Da wird, vor allem bei den beliebten untenrummen Witzen (darum geht es bei Gernhardt zu 90 Prozent) geprustet, als ob es kein Morgen gäbe und man sonst nicht zu lachen hätte. Oder zumindest, als ob man Gernhardt gerade erst entdeckte. Vielleicht ist das ja auch so. Vielleicht ist der Gernhardt-Abend das Richtige für Einsteiger. Die aber, die Gernhardt schon länger anhimmeln, können auch zu Hause lachen. JENNI ZYLKA
Noch heute und morgen, um 20 Uhr, Vaganten Bühne, Kantstr. 12a, Charlottenburg
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