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Der Sparsame kommt ins Paradies

Mit Visionen und „Heilslehren“ mag der Regierende Bürgermeister nicht dienen. Aber dann wird er doch noch jenseitig: Wie der Filmregisseur Tom Tykwer möge sich Berlin für „Heaven“ entscheiden, wirbt Klaus Wowereit in seiner Regierungserklärung

von ROBIN ALEXANDER

Ein Mann stellt sich hinter ein Pult und liest 16 Seiten Text vor. Der vordergründigen Profanität dieses Aktes scheint sich Klaus Wowereit überbewusst zu sein: Unprätentiös, eher genervt als angespannt wirkt der Regierende Bürgermeister, als er gestern seine Regierungserklärung abgibt. Dabei weiß er natürlich, worum es geht: „Auf die viel – vor allem von den Menschen da oben gestellte – Frage nach der Vision“, will er antworten. „Die Menschen da oben“ meint die Journalisten auf der Pressetribüne, die ihm in Komentaren und Leitartikeln unterstellen, keine Visionen zu haben. „Wir bauen keine Wolkenkuckucksheime in den Himmel der Zukunft, sondern wollen Berlin auf dem harten Boden der Wirklichkeit voranbringen. Visionen sind in dieser Stadt zu häufig mit Illusionen verwechselt worden“, widerspricht Wowereit dem an ihn gestellten Anspruch, um ihn dann doch befriedigen zu wollen: Einen „Mentalitätswechsel“ will er erreichen und die „Handlungsfähigkeit des Staates sichern“. Zudem betont er die „Offenheit der Stadt“. Na ja.

Dabei wurde auf diese Regierungserklärung mehr Mühe verwandt als auf jedes andere Dokument dieser Art. Hatte sich Wowereit für die rot-grüne Regierungserklärung des Übergangssenats noch externen Sachverstand geholt, ging diesmal die Senatskanzlei selbst ans Werk. Vier Mal hat sich Wowereit im vergangenen Monat dafür mit dem Sprecher Michael Donnermeyer, dem Chef der Senatskanzlei André Schmitz und seinen Mitarbeitern Friedemann Walther und Volker Holtfrerich getroffen. Für die PDS durfte der stellvertretende Senatssprecher Günter Kolodziej ins Autorenteam.

Hauptsatzgewitter

Wieder und wieder arbeitete die rot-roten Kommunikationsexperten das Papier um. Am Ende wurden die unterschiedlichen Fassungen nicht mehr nach Tagen, sondern nach Uhrzeiten unterschieden. Schriftlich fixiert gab es zuletzt „Fassung Dienstag 14 Uhr 10“, „Fassung Dienstag 18 Uhr 45“, „Fassung Mittwoch 8 Uhr 40“. Zum Vortrag kam schließlich die „Fassung Mittwoch 11 Uhr 50“, die Wowereit selbst zu Hause noch einmal überarbeite.

Schon seltsam: Viele selbstbewusste Leute waren fleißig bemüht, aber niemand mag sich mit dem Ergebnis rühmen. Niemals in seinem Leben habe er so lange an einem einzelnen Dokument gearbeitet, klagt André Schmitz, aber: „Es ist jetzt einfach nicht die Zeit für Visionen.“ An dieser Elle dürfe man den Regierenden nicht messen. „In Berlin ist die Sehnsucht nach Heilslehren groß. Dafür steht neuerdings das Wort Vision“.

Heilslehre? Nein, nach Wojtyła oder Bhagwan klingt es wirklich nicht, was Wowereit dort vorträgt. Sondern nach Gerhard Schröder. Wie der Kanzler lässt auch der Regierende ein Hauptsatzgewitter auf seine Zuhörer niedergehen: „Das werden wir anpacken. Dafür ist dieser Senat gewählt. Die Ausgangsbedingungen sind schwierig. Die Schuldenlast ist dramatisch. Dennoch sage ich: Wir werden es schaffen.“ Einfache Botschaften in kurzen Sätzen. Wie bei Schröder weiß man bei Wowereit auch nie genau, was er meint, wenn er etwa vom „Leitbild des kooperativen Sozialstaats“ spricht. Wie der Kanzler über die Mitte spricht Wowereit über Berlin: „Lebendig. Mehr als Ost und West. Etwas. Spannend.“ Wowereits Berlin fühlt sich gut an. Irgendwie.

Konket wird Wowereit nur bei dem, was er nicht will: „Füllhornideologie“, „Geht-nicht-Mentalität“, „Spalterdenken“ – das alte Berlin halt. Wowereit fordert eine „Umkehr der Beweislast. Wer sagt, dass etwas nicht geht, soll sagen, wie es gehen soll. Kein Nein ohne konstruktives Ja!“ Wer Ohren hat zum Hören, dem ist nach dieser Regierungserklärung klar: Der Mann will sparen und sonst gar nichts. Das könnte ja tatsächlich zu wenig sein, um eine Stadt wie Berlin zu regieren. Schwach fällt der Beifall für ihn aus, selbst aus den Koalitionsfraktionen.

Fankurven-Niveau

Nur wenn Wowereit sich gegen Zwischenrufe aus der CDU verteidigt, stehen seine Leute auch mit dem Herzen hinter ihm. Die Abgeordneten der CDU begleiten die Regierungserklärung von Beginn an mit einer für mitteleuropäische Verhältnisse seltsam ungezügelt artikulierten Häme. Der Abgeordnete Fritz Niedergesäß stimmt gar den Köpenicker Fußball-Schlachtruf „Eisern Union“ an, als Wowereit vom Ausbau des Olympiastadions spricht. Aber auch Fankurven-Niveau unterschreitet die CDU noch an diesem Nachmittag. Wowereits Satz „In Berlin gibt es fast alles: alt und neu, schrill und bürgerlich, normal und exzentrisch“ ruft ein CDUler: „Und schwul.“ Den Ball nimmt Wowereit auf: „Ja, sagen Sie es doch noch einmal und sagen Sie es laut. Auch Lesben und Schwule haben bei uns ihren Platz.“ Da applaudieren auch die grünen Oppositionsabgeordneten. Und Alexander Kaczmarek von der CDU kann man förmlich ansehen, dass er sich für seine Fraktionskollegen schämt.

Es gibt auch andere Zwischenrufe: „Das könnte alles auch von Diepgen sein“, kommentiert Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland. Da er nicht ganz Recht. Auf die kulturverliebten Metaphern Wowereits wäre der blasse Exregierende Eberhard Diepgen nicht gekommen. Der Glanz der Berlinale sei „der richtige Akzent gegen Fatalismus und Verzweiflung“, findet Wowereit. Der Regiseur des Eröffnungsfilms, Tom Tykwer, hätte sich nicht für Drehbücher mit den Titeln „Fegefeuer“ und „Hölle“, sondern für „Heaven“ entschieden. Da ist ja doch noch eine Vision: Der Sparsame kommt ins Paradies.

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