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Die Urform des Kniefalls

Vor über einhundert Jahren wurde in Norwegen der Telemark-Ski entwickelt. Typisch für die Technik sind eine gebeugte Haltung und frei bewegliche Fersen

von ANDREAS LAUE

Es geht steil bergauf, und wir müssen Steigfelle auf unsere Skier aufziehen. Immer höher hinauf mühen wir uns, bis die Hochebene grandiose Ausblicke freigibt. Als der Gipfel erreicht ist, sind wir ganz allein, und die Sicht reicht bis Jotunheimen, dem größten Hochgebirge Skandinaviens.

Wir spüren die absolute Ruhe, nur der eigene Atem ist noch zu hören. Schneekristalle glitzern im winterlichen Sonnenlicht Norwegens, als wir sanft den letzten Hang in den eleganten Schwüngen des Telemark-Stils hinuntergleiten. Der Kopf ist frei, und wir sind ebenso ermüdet wie zufrieden, als die Sonne langsam am Horizont verschwindet. Fasziniert von den Spuren im Hang, unterbricht plötzlich ein Blubbern und Zischeln die Stille – das Essen ist fertig!

Telemark-Ski – das ist eine faszinierende Kombination aus Kraft, Balance, Flexibilität und Koordination, wie sie nur bei wenigen Wintersportarten anzutreffen ist. In dem charakteristischen Kniefall und der frei beweglichen Ferse liegen die Vorzüge dieser ästhetischen und dynamischen Ski-Technik, die es ermöglicht, sehr elegante Kurven zu fahren.

Im offenen Gelände hat der Telemarker aufgrund seiner beweglichen Fersen und des geringen Gewichts der Ausrüstung enorm viele Möglichkeiten. Es müssen auch keine verschiedenen Skier benutzt werden – ganz gleich ob auf ebenem Grund, bei der Bergbesteigung oder bei der Abfahrt ins Tal.

Seinen Anfang nahm alles im norwegischen Morgedal (Provinz Telemark). Sondre Norheim entwickelte hier vor über 100 Jahren eine Skiform, welche auch heute noch den Namen „Telemark-Ski“ trägt. Es handelte sich dabei ursprünglich um leichte Kiefernskier mit geschwungenen Seiten, die vorne und hinten breiter und in der Mitte etwas schmaler waren. Das Besondere an Norheims Entwicklung war aber vor allem die Bindung, die der Ferse Platz zur Bewegung ließ und es ermöglichte, dass mit den Skiern sowohl geschwungen als auch gesprungen werden konnte. Jahrzehntelang war der Telemark weltweit die bestimmende Ski-Technik.

Als dann der Parallelschwung erfunden wurde, und – besonders nach dem Zweiten Weltkrieg – große Skizentren in Mitteleuropa entstanden, geriet der Telemark-Stil mehr und mehr in Vergessenheit. Doch seit den 80er-Jahren, ist er wieder populärer und für viele Skifahrer gar zum Inbegriff des Skifahrens schlechthin geworden.

Denn die so genannte „Norwegertechnik“ vereint die unterschiedlichsten Skidisziplinen, ob Langlaufen, Tourengehen, Abfahren oder Skispringen – im Telemark ist all dies möglich, was diese speziell nordische Form des Skifahrens so einzigartig macht.

Hat man erst einmal die ersten Schwünge in unberührter Landschaft genießen können, dann wird man schnell davon fasziniert sein – ja, man will mehr, man kann sich in einen Rausch versetzen, wenn man durch die Vielfalt und Abwechslung der Bewegungen mit dem Schnee eins zu werden scheint. Man schiebt die Bretter durch jungfräulich anmutenden Schnee, manchmal traut man sich gar nicht weiterzulaufen, um bloß nicht die wundersame Winterlandschaft zu zerstören.

In Norwegen lassen sich Telemark-Touren verschiedenster Art problemlos verwirklichen – von Hütte zu Hütte oder mit dem Zelt durch verschneite Wälder, über weite, fast endlos erscheinende Hochebenen.

Schnee liegt hier mit ziemlicher Sicherheit von Dezember bis Mai, dazu erzeugen die Polarlichter, bedingt durch die Lage im hohen Norden, eine Lichtstimmung, wie sie bei uns nicht existiert. Und nicht zuletzt bietet das fast menschenleere Land, in dem im Durchschnitt ganze 13 Menschen pro Quadratkilometer wohnen, endlose Möglichkeiten für jeden, der absolute Ruhe und Abgeschiedenheit sucht.

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