: Rebellion mit Genuss
Augenzeugen erinnern sich an das Stuttgarter Theater des Claus Peymann in den Siebzigern – unter ihnen auch Peymann-Veräppeler Harald Schmidt („Peymanns Stuttgarter Kinder“, 21.45 Uhr, 3sat)
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Waren mal fünf Schwabenkinder, wollten weg von daheim. Alles, was sie brauchten, fanden sie im Theater von Claus Peymann. Davon erzählen unter anderen Harald Schmidt, Gabriele Riedle und Peter Rommel in „Peymanns Stuttgarter Kinder“.
Fernsehen und Theater, das ist nicht gerade die Geschichte einer Liebesehe. Vielleicht aber die eines Vatermordes, der ein großes Potenzial an Kreativität und Zynismus hervorgebracht hat. „Es ist merkwürdig“, sagt Harald Schmidt, „aber ich bin Schauspieler; was ich jetzt mache, ist ein Abfallprodukt.“ Er sagt es ins Objektiv einer Kamera, aufgebaut für eine Fernsehdokumentation von Martina Döcker über „Peymanns Stuttgarter Kinder“. Schmidt gehört zu denen, die in den Siebzigerjahren auf der Bühne des Theaters in Stuttgart ihre Vorlagen fanden. Bald wusste er, wie man sich mit der Verteilung der Freikarten unter den Schauspielschülern einen Vorsprung organisiert. Auf dem Theater hat er sich mit Wissen und Technik gemästet – geblieben ist er nicht.
Sicher auch, weil das Theater von Peymann damals eines war, das über die Grenzen des Mediums hinausschoss. Liebe zur Kunst genügte da nicht, um die Welt außerhalb der Bühne zu erschüttern. Peymanns Gegenspieler war Hans Filbinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und heftig mit der Vertuschung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigt. Als Hilfstruppen agierten Polizeibeamte, die in der Fahndung nach RAF-Sympathisanten die Wohnungen von Theaterleuten stürmten und jungen Besuchern bei Kontrollen einen heillosen Schreck einjagten. Das Theater wurde der Ort, die Doppelbödigkeit eines Lebens zu verdauen, das große Teile seiner Energie in die Fassaden des Wohlanständigen steckte.
Peymann selbst kann es rückblickend kaum glauben. „Ununterbrochen wurde was verboten“ – ein Programmbuch, das „Bambule“-Stück von Ulrike Meinhof, ein Plakat gegen den Paragrafen 218, – ununterbrochen stand ihm, der die Rebellion mit ästhetischem Genuss verband, das Publikum zur Seite. „Das hatte ja Kultcharakter, das darf man gar nicht erzählen“, meint er und bedauert dann doch: „Das Dilemma ist heute, alles ist erlaubt.“ Das Dilemma ist, heute trägt er den Ruf, den er sich in Stuttgart erworben hat, wie ein Schild vor sich her, aber sein Schwert ist nur noch aus Pappe.
Das allerdings ist nicht die Geschichte von „Peymanns Stuttgarter Kindern“. Die Filmautorin Martina Döcker beschränkt sich auf eine Rekonstruktion der Jahre 1974–1979 aus dem Mund der Augenzeugen. Die Entfernung von dieser Zeit wird sowieso deutlich: Denn hier erzählen gut gelaunt und gewitzt fünf um die vierzig nicht zuletzt von ihren Problemen, die Pubertät politisch korrekt zu überwinden, sich vom Elternhaus abzunabeln, die Provinz loszuwerden. Peymanns Theater leistete konkrete Hilfestellung.
Für Peter Rommel, Produzent der Filme von Andreas Dresen („Nachtgestalten“, „Halbe Treppe“), war Theater keine Selbstverständlichkeit. Es gehörte wie heimlicher Alkoholgenuss zu dem Teil seiner selbst, der die Familie nichts anging. Sich mit gefälschten Schülerausweisen Karten zu besorgen – das klingt schon nach den Protagonisten der Filme, die er heute produziert. Für Gabriele Riedle, in den Achtzigern Theaterredakteurin der taz und inzwischen Romanautorin, waren die Stuttgarter Theaterskandale eine Messlatte, an die später nichts mehr herankam. Denn schließlich kann man sexuelle Befreiung und politische Revolte nicht auf Dauer durchleben. So redet sie jetzt lieber von der privaten als von der öffentlichen Erregung.
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