Das Sterben der Schweinswale

10.000 Meeressäuger verenden jedes Jahr in den Fangnetzen der Fischereiflotten von Nord- und Ostsee. Der World Wide Fund for Nature fordert, die Fischerei umzugestalten. Beschränkung der Stellnetze, in denen die Wale sterben, sei notwendig

aus Hamburg SVEN-MICHAEL VEIT

Die Prominenz protestiert. Kabarettistin Elke Heidenreich und Sportmoderator Johannes B. Kerner finden Schweinswale schützenswert. Auch TV-Moderatorin Birgit Schrowange, Musikerin Anne Haigis oder Regisseur Rafik Schami fordern „Schluss mit dem sinnlosen Töten tausender Nordseewale“. 150.000 Unterschriften hat der Umweltverband World Wide Fund for Nature (WWF) gesammelt. Am 7. März sollen sie dem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin überreicht werden.

Ziel der Aktion ist eine Änderung der europäischen Fischereipolitik, die Trittin auf der Internationalen Nordseeschutzkonferenz am 20. März im norwegischen Bergen durchsetzen soll. „Der Schutz der Schweinswale darf nicht länger verzögert werden“, stellte WWF-Fischereiexpertin Heike Vesper gestern in Hamburg klar, „sonst gibt es sie bald nicht mehr.“ Zusammen mit dem holländischen Wissenschaftler Kees Lankester stellte sie eine Studie zum tatsächlichen Schutz der einzigen heimischen Walart vor. Vordringliche Punkte des „Rettungsplans“, die die EU und die Nordseeanrainer „zügig“ umsetzen müssen, so Lankester, sind das Ende der Treibnetzfischerei, Beschränkungen für die Stellnetzfischerei und Festlegung einer Obergrenze für „den Beifang“. Denn etwa ein Viertel der Fänge in der internationalen Fischerei sind nicht verwertbare Fische oder Wale, die tot oder sterbend wieder über Bord geworfen werden, in der Nordsee vor allem Schweinswale. Mindestens 7.500 dieser kleinsten aller Walarten verenden jährlich in den Stellnetzen der Fangflotte. Die Dunkelziffer, befürchten Vesper und Lankester, liege „etwa 30 Prozent höher“.

Etwa 10.000 Schweinswale also fallen, obwohl sie nach mehreren internationalen Übereinkommen geschützt sind, jährlich der industriellen Fischerei vor der deutschen und dänischen Küste zum Opfer. Zusammengenommen rund 10.000 Kilometer lang sind allein die Nylonnetze, die die dänischen Fischer auf den Meeresgrund stellen. „Diese riesigen Gardinen“, wie Vesper sie nennt, sind eine tödliche Falle für die Meeressäuger. Die Netze können die Wale mit ihrem Sonarsystem nicht orten, umso besser aber die darin zappelnden Heringe, Kabeljaue oder Schollen. Die Schweinswale verheddern sich in den Maschen und ertrinken nach minutenlangem Todeskampf. Das Massensterben der Kleinen Tümmler, wie sie auch genannt werden, „ist artbedrohend hoch“, hat Lankester errechnet. Nur noch 170.000 der kaum mehr als eineinhalb Meter großen Wale wurden 1994, so die letzte verlässliche Zählung, in der östlichen Nordsee erfasst. In der Ostsee waren es nur noch 599. Wie viele heute noch leben, weiß niemand. „Deutlich weniger“, fürchtet der Walexperte.

Und deshalb hat der WWF gestern seine seit einem Jahr laufende Kampagne zur Rettung der Schweinswale verstärkt. „Alle auch in Politik und Fischindustrie wissen“, seufzt Vesper, „dass der Schutz der Wale notwendig ist.“ Aber die Fischereilobby hat bislang jede Übernahme geltender Naturschutzvorschriften in EU-Fischereirecht verhindert. Die „Blockadefront“ in der EU besteht aus Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, Frankreich und Irland. Bei der Nordsee-Anrainern sind es vor allem die Norweger, die jeden effektiven Walschutz verhindern.