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Aller guten Dinge sind May

■ Sie kam, sah nichts und siegte dennoch: Corinna May fliegt zum Grand Prix nach Tallinn / Ralph Siegel lacht sich ins Fäustchen

Freudentaumel in Bremen! Weinende Fans lagen sich in den Armen, heizten in Autokolonne durchs Viertel und trafen sich auf dem Marktplatz zum gemeinsamen Jubilieren.

Zugegeben: Ganz so ausgelassen war die Stimmung am Freitagabend leider nicht, auch wenn der Anlass das verdient hätte: Corinna May, das Bremer Goldkehlchen, hat den Grand-Prix-Vorentscheid gewonnen und vertritt damit Deutschland Ende Mai in Tallin / Estland. Die Kieler Veranstaltung am Freitag geriet zu einer alles in allem ziemlich poofigen und belanglosen Angelegenheit. Keine Skandälchen-auslösenden Komiker, keine musikalischen Meisterleistungen, ein nervtötender Axel Bulthaupt als Moderator - und keine ernsthafte Konkurrenz für unsere Lokalmatadorin.

Die May, die eigentlich Meyer heißt, ließ sich davon nicht irritieren, gab alles und landete in der finalen Abstimmung mit 41,1 Prozent der Stimmen auf Platz eins - vor Joy Fleming, die einen Gospelchor im Gepäck hatte, und der Teenie-Jesus-Anhängerschar „Normal Generation?“, die verzweifelt versuchten, traditionell-christliche Werte mit jugendlicher Hippness zu vereinen.

Axel Bulthaupt packte zur Anmoderation Corinnas noch einmal kurz die alte Geschichte der vergangenen Niederlagen aus, die ihr schon zum Halse raushängen muss. 1999 hatte sie den Vorentscheid mit „Hör den Kindern einfach zu“ gewonnen, war aber disqualifiziert worden, weil Komponist Ralph Siegel uns und Corinna für dumm verkaufte und geheim halten wollte, den Titel schon vorher mit anderem Interpreten veröffentlicht zu haben. 2000 machte sie den zweiten Platz hinter Stefan Raab.

Die Frau mit tragischer Grand-Prix-Vergangenheit lieiß die Vergangenheit hinter sich und trällerte um 21.26 Uhr wacker ihren Disco-Schunkler „I can`t live without music“, zu dem sie von fünf hyperaktiven Girlies fast ohne Stimmen, aber dafür mit bauchfreien Goldglitzer-Tops begleitet wurde. Waren ihre Songs in der Vergangenheit züchtige Balladen, so wackelten die Frauen zur „flotten Temponummer“ (Bild) in der Kieler Ostseehalle tüchtig mit den Hüften. Sex verkauft sich nun mal besser als Kinderliebe oder Gottesfurcht (siehe „Normal Generation?“ oder „I believe in God“, Mays letztjähriger Beitrag).

Nach dem beliebten Schnelldurchlauf in umgekehrter Reihenfolge stand fest: Corinna ist unter den ersten drei! Hatte man eigentlich die Kelly Family auf dem Siegerpodest befürchtet, wurde man schnell erleichert. Auch das grausige Duett „Es ist niemals zu spät“ der Schlagerdinosaurier Bernhard Brink und Ireen Sheer (“gegen den Terror und für Uschi Glas“), Dieter Bohlens neues „Spielzeug“ Isabel oder die beiden mäßig lustigen Spaßvögel von Mundstuhl hatten keine Chance.

Eine witzige Performance der australischen „10 Tenors“, die alle Beiträge des Abends grandios in einem Medley persiflierten, einer offenbar völlig zugekifften Stippvisite Guildo Horns und 800.000 Anrufen später war dafür gesorgt, dass Corinna Freudentränen verdrückte und „Danke Deutschland“ stammelte.

Damit ist jedoch alles wieder so, wie es immer war: Die Siegel-Retorte macht das Rennen. Nachdem in den letzten Jahren durch Raab und Co. so etwas wie Schwung in die deutsche Schlager-Bude kam, wird der Grand Prix wieder zur langweiligen Randveranstaltung der Subkultur Schlagerfans, bei der es ausschließlich - gähn - um die Musik geht.

Roland Rödermund

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