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Weniger werden, mehr werden

Und immer dreht sich das Rad des Lebens und des Todes: Sasha Waltz’ neues Stück „noBody“ an der Schaubühne

Wie kommt man in dieses Leben hinein und wieder hinaus? Seit die Religionen in der säkularisierten Gesellschaft nicht mehr für Anfang und Ende zuständig sind, werkeln die Menschen ein wenig ratlos herum mit ihren Inszenierungen und Ritualen. Leerstellen sind geblieben, in der Form und in der Ethik. Während die ethische Diskussion sich immer mehr auf die Frage nach dem Beginn zuspitzt, ist der Tod etwas aus dem Blickfeld geraten.

Er bleibt beinahe dem Kino überlassen, das fast todessüchtig ist. Und dem Tanz, der wie keine andere Kunstform mit den Begrenzungen des Körpers und seiner Endlichkeit umgeht. Der Verfall und die Verletzbarkeit waren oft sein Themen; der Angriff, dem die Körper unterlagen, steigerte sich bis ins Unerträgliche.

Noch in keinem Stück aber ist der Tod so sanft aufgetreten wie in „noBody“ von Sasha Waltz. Denn die Angst und die Bedrohung sind zum großen Teil hineinverlagert in den Klangteppich, den Hans Peter Kuhn hoch über der tiefen Bühne und den Köpfen der Zuschauer zusammenbraut. Der versetzt uns in ein gigantisches Kraftwerk, an den Fuß einer Rakete kurz vor dem Start oder in den Bauch der „Titanic“, während die Wassermassen eindringen. Gegenüber diesen Ballungen von Energie, die den ganzen Raum in Vibration versetzen, wirken die Menschlein da unten im Bühnenrund sehr klein. Als ob man in einer Kathedrale auf der Empore zu nahe an der Orgel säße, sieht man ihrer Unruhe und den Verstörungen aus großer Distanz zu.

„noBody“, eine Koproduktion der Schaubühne mit dem Festival d‘Avignon, wird dort für den Cour d’honneur des Papstpalastes noch einmal überarbeitet. Aber schon jetzt ist die Choreografie durchzogen vom Atem einer Stadt des Mittelalters. Noch bevor man sie sieht, wird Bewegung spürbar in der Dämmerung weiter Plätze. Erst von einzelnen, dann von größeren Gruppen; viel Volk durchquert das Hallenschiff der Schaubühne, lange Rocksäume schlagen um die Knöchel, manche haben den Kopf umwickelt wie zur Vorbereitung eines Kampfes.

Zu dem Ensemble von 13 Tänzern sind 13 Gäste dazugekommen, darunter Absolventen der Folkwangschule. Einzelne brechen in diesen Gruppen zusammen, werden weggetragen oder brutal weggeschleift, manchmal versorgt und teils auch durch eine Schleuse aus anderen Körpern geschoben und wieder zurückgeholt. Vorübergehend streifen die Bilder mögliche Erzählungen: vom Rattenfänger, dem die anderen magisch folgen; vom „roten Tod“, der in das fürstliche Fest trotz aller Mauern einbricht, die der Pest trotzen sollten; von der Asche, die vom Himmel regnet wie an dem Tag, als in Pompeji die Flüchtenden von der Lava eingeholt wurden. Aber all das sind Katastrophen, die den Schrecken weit aus unserer Zeit herausrücken.

Konkreter wird das Stück selten. In der Spannung zwischen den chorischen Partien und den Ausbrüchen Einzelner aus den Gruppen, stellt es in einem großen choreografischen Bogen den ständigen Zufluss und Abfluss von Energie dar. Wir werden weniger, wir werden mehr, das Rad dreht sich. Vielleicht ist „noBody“ auch ein Versuch, sich aus der Perspektive der Trauer des Einzelnen zu befreien und den Tod als Teil eines Prozesses anzunehmen. Kaum lesbar, weiß in Weiß, steht im Programm „für Margot Waltz“. Eine Ausnahme ist eine Szene zwischen Nicola Mascia und Juan Kruz Dias de Garaio Esnaola. Juan zwängt sich die Kleider des leblos auf dem Boden liegenden Nicola, die anderen schauen zu. Er nimmt den Körper huckepack, schleift dessen Beine bei jedem Schritt mit, schlenkert die Arme, aber je mehr Bewegung er dem Freund verleihen will, desto schwerer zieht dessen Gewicht an ihm.

Erbärmlich rutscht der eine schließlich aus den Kleider heraus, und der Versuch, ihn im Leben festzuhalten, hat wenig von ihm übrig gelassen. Alles Unversöhnliche hält Sasha Waltz fern aus dieser Übung des Abschiednehmens, mit dem Unbegreifbaren freundet sie sich an. Irgendwann schießt weiße Seide aus der Decke und bläht sich auf zu einem Ballon. Dieser Fremdkörper nimmt von nun an vom Raum Besitz, drängt die Tänzer an den Rand, treibt auch auf das Publikum zu und wird von den unteren Reihen zurückgestoßen. Er hat eine sanfte und zugleich verschlingende Präsenz. Einzelne gehen darin verloren, andere werden von dieser Wolke plötzlich ergriffen, flattern ein wenig mit den Händen, treten Luft und können fliegen wie die Engel. Ein kleines Stückchen zumindest.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„noBody“: Schaubühne, Lehniner Platz, nächste Aufführungen 26./27. 2, sind leider ausverkauft

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