grauzone: DANIEL WIESE über Viertel ohne Brummen
Sätze mit „können“ gehen nicht
Wenn Bekannte, die nicht aus Berlin kommen, hören, dass man in Prenzlauer Berg wohnt, ziehen sie oft die Augenbrauen hoch und sagen: „Ja schick, da wohnen doch lauter Künstler, oder?“ Das stimmt natürlich nicht, aber es ist eben so, dass Sightseeingbusse über den Kollwitzplatz fahren und die Mieten ziemlich gestiegen sind, seit man die Häuser bunt angestrichen hat. In einer Straße stehen drei Häuser in drei verschiedenen Farben nebeneinander.
Andererseits gibt es auch in Prenzlauer Berg Randzonen, in die das neue Lebensgefühl noch nicht vorgedrungen ist. In der Gegend, in der ich wohne, fährt nie ein Touristenbus vorbei, und es gibt auch kein Café mit Kronleuchter an der Decke, das Espresso mit Vanillegeschmack anbietet. Statt dessen sieht man Kneipen, die „Zur Kohlengrube“ heißen. Neben der Tür hängt eine Tafel, auf die jemand mit krakeliger Schrift geschrieben hat: „Liebe Gäste! Wir machen am 01.08.01 Urlaub! Voraussichtlich den ganzen August!“ Vielleicht sieht mal jemand auf einer griechischen Insel nach, ob dort jetzt eine Kneipe„Zur Kohlengrube“ heißt.
Prenzlauer Berg brumme, heißt es, doch in meiner Gegend brummt nichts. In einem Ladenlokal drei Häuser weiter scheiterten innerhalb eines Jahres erst eine Apotheke und dann ein Geschäft für Hörgeräte. Es kommt hier einfach niemand hin, das hätte man den Geschäfteaufmachern vielleicht sagen sollen.
Sehr schön ist der kleine Laden bei mir gegenüber. Gerne brutzeln sie dort Würste auf einem Elektrogrill im Laden. Die Bewohner der ehemaligen DDR sind ja große Griller. Grillen allein macht aber auch nicht glücklich. Dem Besitzer des Ladens sollte man nie ein „schönes Wochenende“ wünschen, dann sagt er: „Ach wissen Sie, ich mach ja auch am Sonntag auf.“ Bei „Schönen Abend noch“ sagt er: „Ach, wenn ich mal ins Bett komme, und dann morgens wieder in aller Frühe raus.“ Meine Straße ist bevölkert von älteren Frauen, die im ersten Stock am Fenster sitzen und hinausschauen, neben sich einen Hund. In Kneipen des Viertels trifft man Leute, die fast einen Plattenvertrag gehabt hätten, aber dann hat es die Band ohne sie gemacht, dabei war es doch ihre Idee. Solche Geschichten erzählen sie und geben dann eine Runde aus. Daraus zu schließen, dass man dazu gehört, wäre aber ein schwerer Fehler. Fragt man etwa die netten Jungs, die bedienen: „Kann ich ein Bier haben?“, kommt als Antwort: „Ja da ruf ich mal deine Mutter an, wa?“ Sätze mit „können“ gehen nicht.
Allerdings wird auch mein Viertel langsam vom restlichen Prenzlauer Berg infiltriert. In letzter Zeit treffe ich morgens auf der Straße vermehrt parfümierte Herren, die es sehr eilig haben. Das ist kein gutes Zeichen.
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