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Offensive der Marktanbeter

Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz setzt Rot-Grün um, was die Regierung Kohl nicht durchsetzen konnte. Die bessere Vermittlung von Erwerbslosen baut die Arbeitslosigkeit nicht ab

Es ist bedauerlich, dass die Gewerkschaften diesemUnsinn ihren Segengegeben haben

Die Nation kann aufatmen. Bernhard Jagoda geht. Das Problem der falschen Vermittlungsstatistiken wird gelöst – Florian Gerster, der neue Chef, will die Bundesanstalt für Arbeit zu einer „wettbewerbsfähigen Dienstleistungseinrichtung“ machen.

Und dann? Was wird sich ändern am Ausmaß der strukturellen Arbeitslosigkeit? Nichts. Das lässt sich schon am Job-Aqtiv-Gesetz deutlich machen: Die Verbesserung der individuellen Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen und die Steigerung der Anzahl geleisteter Vermittlungen – beides erklärtermaßen oberste Ziele des Job-Aqtiv-Gesetzes – können für den Einzelnen durchaus Vorteile haben. Vermittlungsoffensiven erzeugen viel Bewegung und erhöhen die Fluktuation zwischen Arbeitsmarkt und Erwerbslosen.

Für viele Arbeitslose ist die zeitweise Durchbrechung der oft belastenden „Untätigkeit im Leistungsbezug“ eine notwendige psychische Voraussetzung, ihr Leben weiter zu organisieren. Für andere dient die neue Tätigkeit zur Abwehr eines Entwertungsprozesses vorhandener Qualifikationen.

Nur: Der Bestand an Langzeitarbeitslosen geht durch verstärkte Vermittlungsbemühungen eventuell zurück, der Bestand an Arbeitslosen nicht. Seit langem sinkt das Angebot an Arbeitsplätzen (39 Mio. im Februar 2002). Dies ist trotz oder wegen des Wirtschaftswachstums der Fall, je nachdem ob man das Problem konjunkturell oder strukturell betrachtet. Fakt ist: Wirtschaftswachstum wird hier strukturell über Rationalisierung erreicht, wobei konjunkturell gegenläufige Entwicklungen dies überdecken können. Die jeweiligen Hochs und Tiefs im Dienstleistungssektor geben dafür ein gutes Beispiel ab.

Gleichzeitig steigen die Arbeitslosenzahlen (4,3 Millionen im Februar 2002). Gegenstrategien zur Verknappung der Nachfrage nach Arbeitsplätzen wurden aufgegeben. Die Arbeitszeitverkürzung ist aus der Diskussion fast verschwunden; komplementäre Strategien wie die Verlängerung von Bildungszeiten, Altersvorruhestandsregelungen oder der Abbau von Überstunden können aufgrund ihres geringen Ausmaßes das strukturelle Problem nicht beheben.

Wenn in der Politik vor allem die Vermittlungstätigkeit als zentrales Problem gehandelt wird, ist der creaming effect unter den Erwerbslosen zwangsläufig. Hier profitieren vor allem die privaten Agenturen. Am besten vermittelt wird, wer gut ist. Menschen mit schlechten Qualifikationen und zusätzlichen Problemen lassen sich schlecht vermitteln. Wer Erfolg haben will und von Vermittlungsprämien lebt, kümmert sich nur um die Besseren, die oft auch ohne Agentur einen Job gefunden hätten.

Schwer wird es hingegen für Menschen ohne Berufsausbildung, für Behinderte und Langzeitarbeitslose mit Handikaps wie Alter, psychischen Problemen, Lernschwierigkeiten oder Verschuldung. Sie werden die Opfer des neuen Gesetzes sein, denn auf ihren Schultern lastet die negative Vermittlungsquote. Das werden sie zu spüren bekommen.

Fester Bestandteil nicht nur von Job-Aqtiv, sondern der Politik der Bundesregierung generell, ist das Dogma, Arbeitslose müssten in den Niedriglohnsektor vermittelt werden. So sei Arbeitslosigkeit abzubauen. Nichts ist falscher als das, denn unqualifizierte Arbeitsplätze werden am schnellsten abgebaut. Deshalb ist es auch sinnlos, den Arbeitgebern ein Kombilohnmodell für den Bad-job-Bereich anzubieten. Niemand schafft Arbeitsplätze, die er nicht braucht. Hier wird ein Mitnahmeeffekt für die Arbeitgeber organisiert, der keine Arbeitsplätze schafft, sondern nur solche subventioniert, die auf der Abschussliste stehen. Das Modell lebt von der Ideologie und der fehlenden Kontrolle. Es wäre transparenter, wenn man gleich dem Arbeitgeberlager das Geld aus der Steuerkasse überweisen würde – zur freien Verfügung. Der Effekt wäre der gleiche.

Es ist bedauerlich, dass die Gewerkschaften aus „übergeordneten“ Erwägungen diesem Unsinn ihren Segen gegeben haben. Das Kombilohnmodell schafft zwar keine neuen Jobs, wird sich jedoch drückend auf die Tarifpolitik auswirken.

Es gibt derzeit nur ein profanes (und leider verpöntes) Mittel, um zumindest auf Zeit neue Arbeitsplätze zu schaffen: befristete Beschäftigung über die aktive Arbeitsmarktpolitik. Unabhängig von der individuellen Verweildauer entstehen so zusätzliche Arbeitsplätze. Sie reduzieren damit jeweils nominell den Bestand an Arbeitslosen – egal wie dies Phänomen statistisch verbucht wird. Dieser „zweite Arbeitsmarkt“ kann nicht die zentrale Antwort auf das Problem struktureller Arbeitslosigkeit sein. Aber warum wird er bekämpft, wenn es keine andere Antwort auf die Frage gibt, wie zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können?

Job-Aqtiv verfolgt genau die falsche Strategie. Pro Vermittlungsoffensive – contra zweiten Arbeitsmarkt. Job-Aqtiv begründet den Abbau des zweiten Arbeitsmarktes und setzt ihn konsequent durch. Die Haushaltseinsparungen für den zweiten Arbeitsmarkt im laufenden Jahr werden zentral mit der Notwendigkeit begründet, Mittelumschichtungen zugunsten des Vermittlungsauftrages von Job-Aqtiv vornehmen zu müssen.

Die „freie Arbeitswahl“ ist zwischen freiwilliger Unterordnung und Fügung in den Arbeitszwang anzusiedeln. Arbeit wird zum Selbstzweck erhoben, was für einen großen Teil der Arbeitslosen die Zwangsintegration in den Niedriglohnsektor bedeuten wird. Der apodiktische Grundsatz der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft wird für diese Gruppe aufgehoben: Arbeit dient nicht mehr der Existenzsicherung.

Die Orientierung auf den Niedriglohnsektor wird so zur ordnungspolitischen Debatte. Die Existenzsicherung des Einzelnen wird zum privaten Anliegen erklärt. Die Funktion der Erwerbstätigkeit wird davon abgekoppelt. Das System wird damit auf den Kopf gestellt, die Bestandserhaltung über Zwänge gewahrt.

Es wäre transparenter, den Arbeitgebern das Geld gleich zu überweisen. Der Effekt wäre der gleiche.

Der nächste logische Schritt nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wird die Neuregulierung der Sozialhilfe sein. Das Bedarfsdeckungsprinzip wird kippen und damit eine der Grundfesten des Sozialstaatsprinzips. Es wird jeder das bekommen, was er verdient, und nicht das, was er braucht. Verschuldet hat das jeder selbst.

Dies ist die vorgegebene Logik der neuen Politik, die von der konservativen Vorgängerregierung lange geplant war, aber nie umgesetzt werden konnte. Rot- Grün macht es möglich und „sozial verträglich“ für diejenigen, die nicht betroffen sind.

Der politische Wechsel geht einher mit einer Umverteilung zugunsten der nicht abhängig Beschäftigten und nicht Erwerbslosen. Das neuen Job-Aqtiv-Gesetz folgt dieser Logik und versucht, daraus eine Strategie zu machen. Es ist eine getarnte ideologische Rollback-Offensive der Marktanbeter und Deregulierer, bei der das Misslingen vorprogrammiert ist in Bezug auf den angekündigten Abbau der Arbeitslosigkeit.

GABY GOTTWALD

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