Der Text ist das Motto

Schwämmchentechnik, Baustellenlampen und arabische Gewänder: Thomas Langhoff kehrt nach Berlin mit einer szenisch zurückhaltenden Interpretation von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ am Maxim Gorki Theater zurück

Wo eigentlich liegt dieses Tauris? Auf der Krim, wie zu Goethes Zeiten? Oder ist es doch eher ein fiktiver Seelenort? Nach Tauris, ins Exil und gleichzeitig in Sicherheit brachte die Göttin Diana Iphigenie und rettete sie so vor dem Menschenopfer, das Agamemnon an seiner Tochter vollbringen wollte. „Iphigenie auf Tauris“ – in diesem Schauspiel dramatisiert Goethe einen Wendepunkt im abendländischen Denken: die Abkehr vom plötzlich als barbarisch empfundenen Menschenopfer und die Hinwendung zur Idee einer humanen Gesellschaft.

Im Gorki Theater besteht der Tempel der Diana aus einem sehr eng wirkenden, lang gestreckten Kasten, die Wände changieren von Rotorange zu Gelb. Das erinnert an die in mediterraner Wischtechnik gestaltete Gastlichkeit des Italieners von nebenan. Aber, halt!, da belauert uns mit unergründlichem Gleichmut die Statue einer schwarzen Göttin. Liegt Tauris für Thomas Langhoff und seinen Bühnen- und Kostümbildner Peter Schubert vielleicht doch irgendwo in Afrika?

Doch warum dann die Baustellenlampen, die am Ende die Flucht der Griechen alarmblinkend begleiten? Thoas, König der Taurier, mutet in weiße Laken gehüllt irgendwie arabisch an. Iphigenie erscheint als Hohe Priesterin der Diana mit Federkrone und kuhfleckigem Gewand. Die Kostümierung wirkt, als ob sich jeder Darsteller aus einer kindlichen Verkleidekiste hinausgefischt hätte, was ihm unter die Finger kam. Goethes Idee vom edlen Wilden, dessen naive Herzensbildung sich dem griechischen Herrenmenschentum als moralisch überlegen erweist, taugt für Langhoff zum vorsichtigen Kommentar zur aktuellen Wertediskussion. Aber Iphigenie und ebenso der wilde König Thoas emanzipieren sich vom Willen der Götter durch ihren individuellen Herzensentscheid. So auf dem Grunde der Aufklärung gewachsen ist dieser Gedanke des Grundguten im Menschen, dass jeder Verweis auf die arabische Welt deplatziert ist.

Der Regisseur, der mit dieser Inszenierung nach Berlin zurückkehrt, greift nach einem nahe liegenden Gedanken, ohne ihn zu Ende zu denken, und möglicherweise liegt darin der Grund für seine szenische Zurückhaltung. Nur Text ist das Motto der Aufführung, das mancher als Werktreue missverstehen wird. So stehen und reden die Darsteller über weite Strecken dieses schwerfälligen Abends. Joachim Meyerhoff als Orest rettet sich in Zittern und Zaudern, Klaus Manchens König Thoas wirbt verlegen um die geliebte Fremde. Und das ist Ulrike Krumbiegel. Sie holt die Königstochter Iphigenie mit ihrem kindlichen Trotz in die Gegenwart, befragt die Figur mit nachfühlender Ernsthaftigkeit. Sie als Einzige hat Tauris gefunden. REGINE BRUCKMANN

Wieder am 28. 2., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte