Endspiel der Gefühle

Rosenkriege als Therapie: Im Deutschen Theater fordert Regisseur Hans Neuenfels zum „Totentanz“ von August Strindberg auf, stattet dessen resignatives Sittengemälde eines Ehedramas aber mit einem vergleichsweise versöhnlichen Schluss aus

von EVA BEHRENDT

Spiegel-Leser wissen wieder einmal mehr. Titelfähig schien dem Magazin die Neuigkeit, dass Scheidungen oft in regelrechte Rosenkriege ausarten, unschuldige Kindsopfer fordern und dabei über Jahre eine ganze Phalanx von Anwälten, Therapeuten und Journalisten beschäftigen.

Alice und Edgar allerdings kann kein Profi mehr helfen. Seit einem Vierteljahrhundert sitzen sie isoliert auf einer düsteren Insel im Norden fest und liefern sich versierte Schlachten, sobald sich die nächste schlechte Gelegenheit bietet. Und davon gibt es viele. Die Kinder sind längst aus dem Haus, Konten und Weinkeller geleert. Alice trauert immer noch um ihre abgebrochene Bühnenkarriere, Edgar wurmt sein verblichener Karriereknick beim Militär. Beide haben alle Zeit der Welt, sich und einander das verbliebene Leben so schillernd wie möglich zu vergällen: Also behauptet Edgar, er habe die Scheidung eingereicht und eine Jüngere, Hübschere, irgendwie Handlichere gefunden. Also denunziert Alice Edgar bei dessen Vorgesetzten und schnappt sich einen Liebhaber, geschmackvollerweise den gemeinsamen Freund Kurt, der einst die Kriegsparteien zusammenbrachte. Die trübe Banalität eines Ehestreits hievte August Strindberg vor hundert Jahren in die Liga des Psycho-Dämonischen, zum existenziellen Endspiel der Gefühle.

Am Deutschen Theater hat der seit dieser Spielzeit fürs Schauspiel zurückgewonnene Hans Neuenfels, verdienter Regisseur in den Sechzigern, den „Totentanz“ inszeniert. Bis endgültig klar ist, dass Neuenfels die so genannten Rosenkriege nicht für etwas Therapierwürdiges, sondern für die Therapie schlechthin hält, muss man allerdings durch eine gute Stunde harten Stadttheaters.

Dies besteht aus, erstens, einem abstrakten Bühnenbild (Natascha von Steiger), das die beliebte Schräg-Rund-Spielfläche mit einem Theater-im-Theater symbolisierenden Kasten im Hintergrund koppelt. Zweitens aus Elisabeth Trissenaar und Jörg Gudzuhn, einem zeitlos eleganten, imposanten Paar. So steht es jedenfalls zu Beginn für einen Moment Hand in Hand im Theaterkasten, als könne nichts das fürs Leben geschlossenen Band trüben.

Elisabeth Trissenaars Alice ist eine launig extrovertierte Matrone, in deren dick aufgetragen selbstherrlicher Oberfläche Edgars Patronen nur für kurze Zeit stecken bleiben. Was aber auch daran liegt, dass Gudzuhns Edgar – mehr schrulliger Ruhestandsfilou als grimmiges Armeetier – manche autoritäre Salve nur zum Spaß verfeuert, um sie nach einer Kunstpause wieder zurückzunehmen. Zwischen den Fronten dieses auf mäßige Komik eingespielten Teams turnt Quarantänemeister Kurt (David Rott), ein hübsches Verjüngungsangebot in unschuldig weißem Pyjama, das irgendwann einsieht: Gegen solch innigen Hass ist kein Kraut gewachsen. Dass beide mit der Todessehnsucht flirten, glaubt man den vitalen Rentnern jedoch keinen Augenblick. Wohl aber, dass eine präventiv verübte Rache, ein kräftiger Tritt ins Dramatisierungspedal, letzte Süße verspricht.

Da Neuenfels auch das Dämonische ausgelagert hat – in eine stets auf der Bühne kauernde, spärlich befellte „Kreatur“ (Andreas Salomon) –, landen Alice und Edgar immer wieder bei Walzerschritten statt im „Totentanz“. Auch wenn das Parkett kurz vor Schluss noch mal kaltem Marmor weicht: Strindbergs resignierter Schluss sieht am Deutschen Theater schwer nach Versöhnung aus – wenn auch einer doppelbödigen. Der Kreis schließt sich zur Idylle, und alles nur Theater. Anwalt überflüssig, Therapie zwecklos.