: US-Truppen im Kaukasus ante portas
Für ein Eingreifen der USA in Georgien mehren sich die Anzeichen. Russlands Militärs sind alarmiert
MOSKAU taz ■ Werden die USA Georgien zu Hilfe eilen und in der Pankisi-Schlucht im Norden Recht und Ordnung wieder herstellen? Spekulationen reißen nicht mehr ab, seitdem der Geschäftsträger der USA in Georgien letzte Woche verlauten ließ, nicht nur aus Afghanistan geflüchtete Kämpfer hätten in dem von Tschetschenen bewohnten Tal Zuflucht gesucht, sie unterhielten auch Kontakte zum berüchtigten Warlord Chattab, der seit drei Jahren auf Seiten der tschetschenischen Rebellen gegen Russland kämpft.
Moskau freute sich zunächst über die Schützenhilfe aus den USA. Einmal mehr sah sich der Kreml in seiner Lesart bestärkt, in Tschetschenien einen antiterroristischen Kampf zu führen. Dankbar griff der Kreml die Hinweise Washingtons auf und spann den Faden weiter: Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich Ussama Bin Laden in der Pankisi-Schlucht verschanzt halte.
Seit Beginn des Tschetschenienkrieges versucht Russland, auf Tiflis einzuwirken, den Rückzugsort tschetschenischer Rebellen auszuheben. Seit 1994 ist es ein offenes Geheimnis, dass ein Teil des Waffennachschubs aus arabischen Ländern stammt und über den Gebirgskamm geschmuggelt wird.
Am liebsten würde Moskau die Angelegenheit daher in eigene Hände nehmen. Letzte Woche unternahm Russlands Geheimdienstchef Nikolai Patruschew bei Eduard Schewardnadse erneut einen Vorstoß und wurde abschlägig beschieden. Daraufhin fragte Russlands Verteidigungsminister: „Müssen wir zusehen, wie sich das Tal in ein Minitschetschenien oder Afghanistan verwandelt?“
Eine Drohung, von der sich Georgiens Führung nicht einschüchtern liess: Wenn Tiflis Hilfe akzeptiere, dann nur von den USA und seinen Verbündeten. Schewardnadse nutzt die Gunst der Stunde, vor dem Hintergrund der Anti-Terror-Koalition das strauchelnde Land schneller an den Westen zu binden.
Die Nachsicht des Westens seit dem 11. September gegenüber Russlands Vorgehen in Tschetschenien erstreckt sich unterdessen nicht auf die geopolitischen Ambitionen Moskaus. Im Gegenteil, die USA scheinen die Pankisi-Schlucht zu nutzen, um auch im Kaukasus Fuß zu fassen. Die Nesawissimaja Gaseta berichtete, letzte Woche sei eine Gruppe US-Militärberater in Georgien eingetroffen. Gleichzeitig nennen russische Quellen eine geheime Direktive des russischen Generalstabs, derzufolge bis Juli 12.000 Militärangehörige aus der Kaukasusrepublik abgezogen werden sollen.
Gibt Moskau jetzt Hals über Kopf auf? Russische Beobachter fürchten, der Generalstab treibe zur Eile, um der Schmach zuvorzukommen, den Kaukasus erst zu verlassen, nachdem die Amerikaner eingetroffen sind.
In einem offenen Brief im nationalistischen Kampfblatt Sowjetskaja Rossija bezichtigten kürzlich hohe Militärs Kremlchef Wladimir Putin eines Ausverkaufs nationaler Interessen. „Wer ist für die Desintegration verantwortlich?“, fragen die Militärs. Die tragischen Konsequenzen der Putinschen Politik nach dem 11. September seien „nicht einmal mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen“. Russlands Außenpolitik sei zu einem Kuhhandel verkommen. Die US-Basen in Zentralasien dienten nicht einem Schlag gegen Bin Laden, sondern verstießen gegen Russlands geopolitische Interessen. Moskau habe Zentralasien an die USA verloren. Folgt nun der Kaukasus?
Georgiens Chef des nationalen Sicherheitsrates, Nuksar Sadschaja, beging am Montag Selbstmord. Laut georgischem Verteidigungsministerium war er für Verhandlungen mit Washington und London über westliche Hillfe bei der Bekämpfung von Terror und Drogenhandel zuständig. KLAUS-HELGE DONATH
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