„Kein Spiel für Ästheten“

Titelverteidiger FC Bayern München liefert in der Champions League erneut eine fade Vorstellung ab, schiebt das aber dem Defensivbollwerk von Betonvista Porto in die Schuhe, das mit 1:0 besiegt wird

aus München THOMAS BECKER

Bei jedem Fußballspiel des FC Bayern München gibt es den Ackermann-Faktor, benannt nach der gleichnamigen Straße, die von Süden und Osten zum Olympiastadion führt. Eine öde, langweilige Straße, die nur bei Bayern-Spielen partiell zu Leben erwacht: Wenn Promis, Journalisten und andere Ach-So-Unverzichtbare mit dem Auto die Stadionbannmeile durchbrechen und dank Durchfahrtsschein bis ganz nah ran zu Effe, Scholli & Co hinfahren dürfen. Wenn sie in die Ackermannstraße einbiegen, wissen sie bereits, was es heute für ein Spiel werden wird: Erholt sich dort – wie fast jedes Wochenende –ein gutes Hundert Busse von ihrer Bayern-Last, wird die Stimmung gut sein im Stadion. Verliert sich aber – wie regelmäßig zu Champions-League-Wochentagen – nur ein Dutzend Fanfrachter auf der langen Meile, vergewissert man sich zunächst, ob man auch den richtigen Tag erwischt hat, um sich dann doch mehr oder weniger widerstandslos in sein Schicksal zu ergeben mit dem trüben Wissen: Das wird wieder fad werden heute Abend.

Der vierte Spieltag der Champions-League-Zwischenrunde mit der Partie Bayern München gegen Boavista Porto war so ein fader Abend. Mit dem sterbenslangweiligsten aller möglichen Siegresultate (1:0) gewann der FCB und hat nun beste Aussichten auf das Erreichen der nächsten Runde. So oder so ähnlich lautete das nüchterne Fazit aller Beteiligten nach dem Sparkick. Von den merkwürdig emotionslosen anderthalb Stunden zuvor, die die 32.000 Zuschauer irgendwie über die Zeit bringen mussten, sprach jedenfalls kaum einer. Gut, Ottmar Hitzfeld deutete immerhin ansatzweise so etwas wie Mitleid an: „Das war heute kein Spiel für Ästheten. Ein Kampfspiel, ein Abnützungskampf.“

Nach portugiesischem Ballzauber und bayerischem Freigeist klingt das nicht gerade. Und so gab der Bayern-Coach unterschwellig eine Teilschuld an die Gäste aus Porto weiter („Man wird von denen hart und sehr giftig attackiert“) und hatte Recht damit. Angesichts des „sehr rustikalen, sehr unorthodoxen Zweikampfverhaltens“ (Manager Uli Hoeneß) und der gemeinen Igeltaktik des portugiesischen Überraschungsmeisters fiel es leicht, die Heimat der Porto-Kicker von Boavista nach Betonvista zu verlegen. In 24 Ligaspielen musste Porto nur 14 Gegentreffer hinnehmen. Owen Hargreaves resümierte: „Wir haben uns ziemlich schwer getan. Die sind sehr unangenehm, sehr konsequent: Die schießen jeden Ball ins Aus oder auf die Tribüne.“

Dort oben, auf der Tribüne, landete ein Nichtkicker dafür den ersten und lange Zeit einzigen Volltreffer des Abends: Edmund Stoiber. Die Chronisten notierten die 33. Minute, als der Kandidat nach dem abendlichen Aktenstudium den Ehrenplatzbereich betrat, neben seiner Gattin Platz nahm und plötzlich und unverhofft in der Manier eines Torjägers zuschlug: ein Kuss für Karin! Mitten auf den Mund! „Ja, is denn heut schon Weihnachten?“, wird sie sich gefragt haben – und auch die Stadionregie war so perplex, dass Edmund Stoibers geradezu schrödersche Charme-Offensive glatt im Halbzeitzusammenschnitt der Höhepunkte der ersten Spielhälfte Aufnahme fand.

Dort gab es auch reichlich Torchancen zu sehen, vor allem für die Portugiesen, aber der allgemeine Unterhaltungswert der Fußballarbeiterei war doch ein eher geringer. „Frau Luna hat den Vorhang zugezogen“, dichtete eine Radioreporter ins blau-weiße Mikro und wollte wohl sagen, dass es auch der Fastvollmond nicht mehr mit ansehen wollte und ein paar Wolken vorschob. Die Bayern-Fans sangen, trotzig wie Fans nun mal sind: „Die Nummer eins der Welt sind wir“. Die Nummer zwei mochte man da schon gar nicht mehr kennenlernen.

Doch ebenso trotzig spielten die Bayern ihren Stiefel weiter – und siehe da: Porto wurde müde, der FCB bekam mehr Torchancen, traf durch den eingewechselten Pizzaro an den Pfosten und neun Minuten vor Schluss durch den eifrigen Roque Santa Cruz per Kopf ins Tor. Halleluja! Jubel bis zur Ackermannstraße. Ein Tor wie eine Befreiung. Bayern hat „einen großen Schritt getan“ (Hitzfeld), spekuliert vor dem nächsten Spiel in Manchester auf Platz eins, der im Viertelfinale zunächst ein Auswärtsspiel garantieren würde, „und dass das sehr hilfreich sein kann, haben wir im letzten Jahr gesehen“ (Hoeneß).

Sprach’s und entließ die müden Schreiber in die Nacht und auf die längst schon wieder öde und langweilige Ackermannstraße. Zum nächsten Champions-Heimspiel kommt Nantes. Der Tabellenletzte. An einem Dienstag.