: Die nicht eingebildeten Kranken
Die dritte Staffel der Sat.1-Serie „Klinikum Berlin Mitte“ überzeugt wieder mit starken Charakteren, Antiklischees und rasanten Dialogen. Ansonsten streiten weiterhin coole Frauen mit desillusionierten Männern, und verliebt wird sich mehr denn je (ab heute jeden Donnerstag, 20.15 Uhr, Sat.1)
von MARCEL MALACHOWSKI
„Bin ich Jesus“, antwortet die schöne Krankenschwester Ayfer Sükür (Sükriye Dönmetz) in der Notaufnahme des „Klinikum Berlin Mitte“ (KBM), als der Arzt sie etwas fragt. Und damit klärt sich auch für den Arzt schon mal, dass die Sat.1-Serie, deren dritte Staffel heute mit neuen Folgen startet, sehr weit entfernt vom Glottertal der Schwarzwaldklinik spielt, in der es noch allzeit dienstbare Krankenschwestern gab.
Denn in der „KBM“-Notaufnahme gehören ein eigener Standpunkt und dessen schlagfertige Verteidigung zum Mitarbeiterprofil. In der neuen Staffel verdrängen Sexkisten immer mehr die rein medizinische Wundversorgung. Die trotzige Schwester Yvonne (Excomedian Dorkas Kiefer) etwa trennte sich von ihrem angebeteten Notarzt, als der in den Iran zurückkehrt und sich entsprechend muslimisiert. In den neuen Folgen findet sie kurzweilig Ersatz in Assistenzarzt Jens Leyendecker (Francis Fulton-Smith). Lovely Jens aber, der Macho mit Herz, verliebt sich in den nächsten Wochen unglücklich in die Vaterkomplex-Neurologin Angelika von Thum (Feo Schenk). Und zu unguter Letzt erkrankt Dr. Ho-An Lee (Maverick Que) an einer beziehungsbedingten Psychose.
Das ist also das Konzept der Serie: Coole Frauen streiten, lieben und arbeiten mit desillusionierten, dennoch straighten Männer. Nichts Besonderes, nur ein temporeich variiertes Arztserienklischee, möchte man vorschnell meinen. Weit gefehlt. Denn normalerweise spielt die deutsche TV-Serien-Industrie vor allem mit Spiegelbildern von selbst ausgedachten, glatten Schubladenleben samt vorprogrammierten Happyends. Der „KBM“-Zuschauer aber wird konfrontiert mit widersprüchlichen Charakteren, die zu Vorbildern nicht taugen, und open-end-Storylines. Nur selten geht es glücklich aus. Dabei liefern die „KBM“-Drehbücher kaum dröge Miesmacherei wie etwa bei der „Lindenstraße“ ab, sondern einen oft so erhellenden wie verstörenden Realismus.
Die grauenhaft altruistische „Schwester Stephanie“, das Nachtschicht-„Alphateam“ (beide Sat.1) oder das ARD-Produkt „In aller Freundschaft“ wirken gegen „KBM“ steril, vom keimfreien „Dr. Stefan Frank“ (RTL) gar nicht erst zu reden.
Das Berliner Klinikum ist nicht allein an US-Vorbildern wie „Emergency Room“ orientiert, es entwickelt die Soap-Elemente intelligent weiter – mit aufgeschlossenen Antiklischees, schmutzigen, rasanten Dialogen und nur mühsam erhaltener Contenance der Charaktere. Und während ARD/ZDF-Produkte die Gehandicapten meist als bemitleidenswerte Objekte beschreiben, wirkt im „KBM“ der geistig behinderte Stationshelfer Dieter als richtiger Akteur (mit eigenem Liebesleben), dessen Profil mit der Zeit immer weiter herausgearbeitet wurde. Auch die neue Schwester Filiz Ökan (Neza Selbuz) dient nicht allein als folkloristische Multikulti-Staffage.
Die Sat.1-Serie (vorher bei Pro 7), entwickelt und produziert von Phoenix Film Berlin, ist nicht nur inhaltlich der erste wirkliche Break mit der oft engstirnigen Provinzialität deutscher Fernsehkultur. Die dynamische Kameraarbeit von Jochen Rademacher und Anton Peschke, der Up-tempo-Schnitt und das elegante, unaufdringliche Design sorgen insgesamt für das perfekte Arrangement einer ambitionierten Inszenierung. Nicht umsonst ist „KBM“ gerade bei der Hollywood-verwöhnten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen beliebt. Damit hat die Berliner neue Mitte zumindest fernsehtechnisch etwas Sinnvolles hervorgebracht.
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