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Lebensbilder aus dem Lager

Das Theresienstadt-Konvolut in der neuen Außenstelle des Altonaer Museums  ■ Von Christian Rubinstein

Unscheinbar ist das kleine Haus direkt an der Elbchaussee. Davor staut sich zur Rushhour der fahrende Verkehr. Doch ein zweiter Blick lohnt sich. Das ehemalige Gartenhaus im klassizistischen Stil lässt vergangene großbürgerliche Pracht erahnen. Es ist ein Überbleibsel des Landsitzes von Salomon Heine, Bankier und Onkel des Dichters Heinrich Heine. Seit 1975 wurde es vom gemeinnützigen Verein „Heine-Haus“ als Veranstaltungsraum betrieben. Das Altonaer Museum hat dort nun eine Außenstelle eingerichtet und gleich die erste Ausstellung eröffnet.

Was es zu sehen gibt, ist eigentlich unglaublich: das Theresienstadt-Konvolut. Es umfasst Aquarelle und Zeichnungen, die den Alltag und die Sehnsüchte von Insassen des Konzentrationslagers widerspiegeln: 64 Kunstwerke, gemalt von Professionellen und Laienkünstlern. Bilder von einer Menschenmenge, die auf die Essensausgabe wartet, sind zu sehen. Die Ankunft eines Transports mit deportierten Juden. Solch düstere Szenen stehen neben lichtdurchfluteten, geradezu heiteren Landschaftsbildern. Die Werke entstanden zum Teil als Auftragsarbeiten für die deutsche Kommandantur. Andere wurden als „Gräuelpropaganda“ beschlagnahmt und die Künstler nach Auschwitz deportiert und ermordet. Voller Ambivalenz: Das Selbstporträt von Julie Wolfthorn, Mitglied der „Berliner Secession“, die im Lager starb. Ihr Bild trägt den Titel „Rekonvaleszentin“.

Das Lager Theresienstadt hatte eine Doppelfunktion. Es war einerseits Konzentrations- und Durchgangslager für Juden aus Böhmen und Mähren. Andererseits wurden dort Juden aus dem deutschen Reich interniert, bei deren Deportation mit Unmut in der nicht jüdischen Bevölkerung zu rechnen war. Dies war der Fall bei prominenten Wissenschaftlern oder Juden, die als deutsche Soldaten im ersten Weltkrieg Kriegsauszeichnungen bekommen hatten. Im Protokoll der Wannseekonferenz heißt es: „Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet.“

Die Propagandafunktion des Lagers wurde 1944 von den Nazis noch einmal auf die Spitze getrieben. Mit den Insassen als Statisten entstand in Theresienstadt der Propagandafilm Der Führer schenkt den Juden eine Stadt. Gezeigt wurden „fröhliche Bewohner“ beim Sport. Der Regisseur des Films, der Lagerinsasse und Berliner Kabarettist Kurt Gerron wurde wenig später nach Auschwitz deportiert.

So genannte A-Prominente wurden in Theresienstadt zwar bevorzugt behandelt. Doch im völlig überfüllten Ghetto waren auch sie von Krankheitsepidemien, Hunger und Deportation bedroht. Der Lagerbürokratie verdankt die Ausstellung ein weiteres Zeitdokument: das Prominentenbuch. Hier sind Lebensläufe und Fotos von Personen mit Sonderstatus dokumentiert. Reproduktionen davon ziehen sich als umlaufendes Band durch die Ausstellungsräume.

Möglich geworden ist diese Ausstellung durch Käthe Starke. Die in Altona geborene Theaterwissenschaftlerin wurde als Jüdin im Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort bekam sie über den Putzdienst Kontakt zu den „Prominenten“. Später arbeitete sie in der Bibliothek. Leere Seiten der dortigen Bücher dienten als Malpapier, die Bibliothek selbst als Versteck für die entstandenen Bilder. Starke überlebte und konnte nach der Befreiung eine Großzahl der Kunstwerke mit nach Hamburg bringen. Aus ihrem Nachlass speist sich die Ausstellung. Starkes Sammlung ist hier erstmals vollständig zu sehen.

Ergänzt werden die Bilder von Auszügen aus den Erinnerungen von Käthe Starke, die diese 1975 als Buch veröffentlicht hat. Hier erfährt der Besucher etwas von den Bedingungen, unter denen kulturelles Leben im Lager möglich war: „Die lichtarmen Räume des Jugendheims waren mit klobigen Dreistockbetten so voll gestellt, dass kaum Platz blieb für einen Tisch. Auf langen Bänken saßen hier die Dreizehn- bis Sechzehnjährigen über ihren Lehrbüchern. Lehrbücher waren seltene Kostbarkeiten und Lernen verboten. Daher wurde es mit Leidenschaft betrieben.“

Zwei bis drei Sonderausstellungen pro Jahr will das Altonaer Museum im Heine-Haus künftig zeigen. Es soll zu einem Ort für die Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte Altonas und Hamburgs werden. So ist für das Jahr 2003 eine Ausstellung mit Familiendokumenten aus dem Besitz von Miriam Gilles-Carlebach, der Tochter des letzten Hamburger Oberrabbiners, Joseph Carlebach, geplant.

Do 14–20 Uhr, Sa + So 11–18 Uhr, Heine-Haus, Elbchaussee 31, Gruppen jederzeit nach Absprache unter Tel. 42 82 43 25; bis 21. April

Begleitbuch von Axel Feuß, Dölling und Galitz Verlag, 128 S. mit zahlreichen Abb., 17,80 Euro

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