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Alte Fenster, neue Aussichten

■ „vasistas/Was ist das?“: Junge Kunst aus Marseille auf Kampnagel

Vasistas/Was ist das? – hinter dem spielerischen Titel der aktuellen kx-Ausstellung junger Kunst aus Marseille versteckt sich eine ethymologische Geschichte: Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg über Frankreich herfielen, wunderten sie sich über die kleinen Fenster in den Dachschrägen der Häuser. Aus ihrem Fragen – „Was ist das?“ – hat der französische Volksmund das Wort „vasistas“ für „kleine Dachluke“ gebildet.

Den ersten Raum bespielt Cécile Reynaud mit einer Doppelprojek-tion, in der Traum- und reale Welt fächerformig auf einer Fläche zusammentreffen und sich ausschnitthaft durchdringen. Delphine Monrozies befasst sich in ihrer Installation „Patience“ mit Fernsehbildern. Im Sticken findet sie ein fast vergessenes Handwerk, das, wie sie meint, „beim Verdauen der Bilder Punkt für Punkt“ behilflich sein kann.

Die Kollision von Wasser und nackter Haut steht im Mittelpunkt der kurzen Videoarbeiten von Eirini Linardaki und Vincent Parisot. Kunsthistorische Anregung zu „The Portrait“ fand das Paar in der Geschichte des weiblichen Selbstporträts. Indem sie von Louise Kahn, einer unbekannten Malerin aus den Zwanzigern, ein Selbstporträt als Vorlage für das Video wählten, öffnen sie vor allem ein Fenster auf die Künstlerinnen früherer Jahrhunderte.

Auf der Suche nach einem Schanier zwischen Vergangenheit und Zukunft, erzählt Nicolas Primat, suche er die Grenze zwischen Tier und Mensch. Affen sind daher das zentrale Thema seiner Arbeiten. In der Eröffnungs-Performance mimte er sogar selbst einen Primaten, der gewaltsam eine Wand durchbricht, um in die verzaubernde Freiheit der „Skin Game“-Installation von Edwige Mandrou zu fliehen. Den etwas ekelhaften Dämmschaumstoff, den Primat verwendet, betrachtet er als ein weiteres Zeit-Schanier: Er wird zum Präparieren von Tieren verwendet. In einem Drachen lässt er zudem – um den respektvollen Umgang mit der Kreatur bemüht – eine Abgussform des toten Affen stellvertretend für dessen Seele in den Himmel steigen.

Dem Zusammenhalt der Gruppe, die aus Frankreich anreiste, gibt Ariane Asensi bildlichen Ausdruck. Ihre Zelt-Schlafsack-Installation bot ihren Kollegen während des Aufbaus einen ständigen Ruhepol, so behaupten wenigstens einige Fotos. Mit vasistas/Was ist das? finden die sieben jungen französischen KünstlerInnen vor allem erst einmal den Gegenstand ihrer Frage: das Verhältnis von Körper und Natur oder Mensch und Tier sind Schwerpunkte der gelungenen Ausstellung. Einziger Makel ist der offensichtliche Kampf einiger Arbeiten mit den räumlichen Gegebenheiten. Christian T. Schön

Do–So 15–19 Uhr, Kampnagel kx (Verwaltungsgebäude); bis 24. März

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