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Kunst mit anderen Mitteln

Die Buchhandlung „Pro Qm“ sichert den Ideen und Projekten ihrer Betreiber Kontinuität und Dauer. Das „kritische Diskussionsforum“ erhielt von der deutschen Industrie den Kunst-und-Design-Preis

von TILMAN VON ROHDEN

Wie führt man eine Buchhandlung? Wie läuft das mit der Buchhaltung, und was ist eine Partieergänzung? Katja Reichard, Jesko Fetzer und Axel John Wieder hatten keine Ahnung, als sie 1999 entschieden, die Buchhandlung „Pro Qm“ zu eröffnen.

Alle drei waren keine gelernten Buchhändler. Sie kamen aus der Kunst- und Projektszene und wollten ihren Ideen und Projekten Kontinuität und Dauer sichern. „Dass alles so schnell vorbei ist und die durch die Projekte aufgeworfenen Fragen in der Luft hängen“, sagt Katja Reichard, „wollten wir nicht akzeptieren.“ Also eine Buchhandlung, die die Projekte fortschreibt.

Genau so sieht das Geschäft in der Alten Schönhauser Straße 48 auch aus. Eine Systematik konventioneller Art lässt sich kaum feststellen, was nicht zuletzt an den in aller Regel fehlenden Schildchen liegt. „Dazu sind wir noch nicht gekommen“, sagt Reichard. Wer nachfragt, erfährt, dass es sich bei „Pro Qm“ um eine thematische Buchhandlung zu den Bereichen Stadt, Politik, Pop, Ökonomie, Architektur, Design, Kunst und Theorie handelt.

„Wir bieten eine sehr subjektive Auswahl, wir verkaufen, was uns wichtig ist. Kackverlage halten wir möglichst außen vor“, beschreibt Reichard das Sortiment. Im vorderen Teil der Buchhandlung, einem denkmalgeschützten, bis hoch an die Decke mit üppig ornamentierten Wandfliesen ausgekleideten früheren Verkaufsraum einer Fleischerei, gibt es noch einige leichte Konzessionen an den breiten Publikumsgeschmack. Benjamins „Über Haschisch“ liegt in mehreren Exemplaren unweit der Baudrillard-Ecke, die kleine Auswahl im Popregal bietet Texte zu „Ton, Steine Scherben“ und anderen Fixpunkten intellektueller Popkultur. Der Name Christian Dior springt ins Auge.

In den hinteren Räumen kommt „Pro Qm“ zu sich selbst. Jede Menge Bücher über Architektur und Stadtentwicklung, urbane Erlebniswelten wie Shopping-Malls und Themenparks, Urbanismus, Gender und das dazugehörige theoretische Fundament. Auffällig sind die vielen fremdsprachlichen Titel, insbesondere aus dem angloamerikanischen Raum.

Der Laden schreibt die notwendigen schwarzen Zahlen, es würde aber kaum reichen, um von dieser Arbeit zu leben. Jesko Fetzer, Architekt, unterrichtet an der Universität (früher: Hochschule) der Künste und kümmert sich um den Ausbau der Buchhandlung. Axel John Wieder, ein Kunsthistoriker, betätigt sich als Journalist. Katja Reichard, die visuelle Kommunikation studierte, engagiert sich in künstlerischen Projekten. Derzeit arbeitet sie an der „Falsches-Leben-Show“ mit, die im Prater in der Kastanienallee über Adornos bekanntestes Zitat reflektiert.

Der Projektgedanke von „Pro Qm“ schlägt sich in mehr oder weniger regelmäßigen Veranstaltungen nieder, die im Verkaufsraum stattfinden und das Sortiment steuern. Dann verschwinden ein paar Regale, und eine normalerweise versteckte Leinwand oder ein unauffälliges Bühnenpodest übernehmen für einen Abend die Regie. Eingeladene Gäste aus dem In- und Ausland diskutieren, zelebrieren oder demonstrieren ihre Anliegen, die sich thematisch aus den inhaltlichen Schwerpunkten von „Pro Qm“ speisen.

„Interessierte kommen längst nicht mehr nur aus dem Bezirk Mitte, viele Angloamerikaner, Italiener und Studenten der Humboldt-Universität haben uns entdeckt“, sagt Reichard. Auch die äußere Anerkennung blieb nicht aus. Denn vor einigen Monaten bekam „Pro Qm“ den vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gespendeten Preis „Ars Viva 01/02 > Kunst und Design“ zugesprochen. Die Anerkennung macht stolz, am Förderer BDI reibt sich das Kollektiv jedoch. In der Laudatio heißt es: „Dem künstlerischen Selbstverständnis der drei Betreiber entsprechend, tritt ,Pro Qm‘ vor allem als ein kritisches Diskussionsforum für die Theorie und Repräsentation von urbanen Prozessen auf: ,Pro Qm‘ ist als Buchhandlung gleichzeitig eine Inszenierung von bestehenden Konfliktlinien um die Politik des Raumes und ein Rahmen für deren Diskussion.“

„Pro Qm“ informiert auch per E-Mail über Veranstaltungen. Aufnahme in den Verteiler über info@pro-qm.de

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