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Afrikanische Geschichtslogiken

Postcolonial Denksport: Die Performance-Installation „Truth“ von Hans-Werner Kroesinger und Rob Moonen verknüpft im Podewill Textmaterialien von Joseph Conrad bis zur südafrikanischen Wahrheitskommission

Afrika ist nun mal fern. Als Christoph Schlingensief vor zwei Jahren eine mit Wagner-Opern beschallte Jeeptour durch Namibia veranstaltete, erntete dieser klassisch therapeutische Kunstsafaribeitrag zur deutschen Verbrechens- und Vergangenheitsbewältigung vergleichsweise wenig Beachtung. Eher hört man von Aidsziffern und Terroristenzellen, Klitorisbeschneidung und Stammesfehden samt kannibalischer Praktiken. Und zunehmend von der Ansicht, dass der Kolonialismus nicht bis in alle Ewigkeit für die afrikanische Misere der Gegenwart zur Veranwortung gezogen werden könne. Die sei seit etwa 40 Jahren hausgemacht: sozusagen „postcolonial“. So war das aber theoretisch nicht gemeint!

Mit der Performance-Installation „Truth“ greifen Hans-Werner Kroesinger und Rob Moonen das an Universitäten unermüdlich, in der Theaterszene eher stiefmütterlich behandelte Thema auf. Kroesinger ist Spezialist für solche Nischen. Der Regisseur hat sich schon intelligent mit der RAF auseinander gesetzt, als die Popvolee noch schwer mit sich selbst beschäftigt war. Hat in den „Kosovo Files“ UN-Protokolle so raffiniert eingesetzt, dass die Doppelmoral humanitärer Militäreinsätze transparenter wurde als in jedem engagierten Leitartikel. Macht überhaupt ziemlich einsam auf weiter Flur ein Dokumentartheater, das konzentriert Politik verhandelt.

So zielt auch die Verknüpfung von Textmaterialien wie Joseph Conrads Novelle „Heart of the Darkness“ bis zu Dokumenten der südafrikanischen Truth-Commission eher in Richtung Diskursbeitrag als auf betroffenheitsheischendes Welterklärungstheater. Entsprechend kühl und sachlich, geradezu mönchisch karg gibt sich im Podewil der Kunstabend als Denksportaufgabe. Die Zuschauer werden durch vier schmucklose Räume geschleust. Im Foyer sieht man grobkörnige Videoaufnahmen, mutmaßlich aus dem Kongo, die eine kurze Conrad-Lesung vom Band dekorieren. In Saal 1 spricht Uwe Schmieder in zwei Spiegelwände mit diskretem Größenwahn einen fiktiven Verbrechermonolog des belgischen Königs Leopold II., der im beruhigenden Bewusstsein von Gottes Gnaden diverse Menschheitsverbrechen begehen ließ. In der Pause hüpfen zwei Gartenzwerge über die Theke und leiten über zur Wahrheitskommission in Saal 2: Uwe Schmieder und Neal Wach lesen Rücken an Rücken, für das einander gegenüberplatzierte Publikum auf Bildschirmen verfolgbar, Verhöre mit südafrikanischen Soldaten – einfachen Henkersknechten (die sich meist rasch geständig zeigen) und studierten Führungskräften.

Also doch Didaktik in vier Stufen – wenngleich hermetische? Warum vier linear zu besichtigende Räume? Zu welchem Zweck die verschiedenen medialen Ebenen? Spiegelspiele und Bildschirme als Zeichen für immer nur halbe Wahrheiten? Auch was die belgische Kolonialpolitik mit der (gescheiterten?) Aufarbeitung des Apartheid-Regimes zu tun hat, muss sich das Publikum fleißig selber denken. Puh! Irgendwie geht es wohl um eine zwingende Geschichtslogik auf der Basis von Conrads Feststellung „Der Mensch ist ein bösartiges Tier“. Denn: Die Errichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission ist am Ende des 20. Jahrhunderts zwar möglich, Wahrheit und Versöhnung aber deshalb noch lange nicht. Das ist so wahr, dass man es auch eine Binsenweisheit nennen könnte. EVA BEHRENDT

Weitere Vorstellungen am 6., 8.–10. 3., 20 Uhr im Podewil, Klosterstr. 68–70

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