piwik no script img

Wenn der Stehbass leise schmatzt

Schmockabilly und Stehblues, kuschliger Country und klebrige Arrangements: Morgen verwandelt das Liquid Laughter Lounge Quartett den Schokoladen in eine billige Plüschbar und lädt zu einer romantischen Butterfahrt ins Abseits

Am Anfang waren die Lieder. Kleine bittere Geschichten über den Ekel vor Engeln, den Verlockungen im Rotlichtviertel, dicke Nachbarn, Mini-Psychodramen aus einer Nebenwelt. Sie kamen daher in schleppendem Rockabilly, zäh fließendem Country, selbst ein stolpernder Tango mogelte sich dazwischen. Plötzlich waren die Lieder da und wollten auch gespielt werden.

Von wem war eigentlich klar – nicht dass sich die beteiligten Musiker groß zu Wehr setzten – aber letztendlich fehlte der passende Rahmen. In einer Punkband hatten die morbid-melancholischen Balladen nichts verloren, also musste ein zweites Standbein her. Und so kam es, dass sich die Freiburger Punkband Liquid Laughter mit Hilfe eines neuen Bassisten und Stühlerücken innerhalb der Formation in das Liquid Laughter Lounge Quartett verwandelte.

Das ist schon wieder eine ganze Weile her, mittlerweile geht das Projekt ins vierte Jahr. Ein angenehmer Nebeneffekt ist dabei nicht ganz unerheblich. Nach all den Jahren „Powerplay“ können es die vier Endzwanziger auf der Bühne auch mal ruhiger angehen lassen. Um einen Saal in eine heruntergekommene Lounge zu verwandeln, braucht es nicht mehr als zwei Steckdosen. Und es funktioniert.

Jene erste Fleischwerdung der Low-Budget-Salonlöwen dokumentiert die Liedersammlung „Yonder … chickens get lonely“, das wie das aktuelle Werk in kompletter Eigenregie enstanden und auf dem Freiburger Label Ritchie Records erschienen ist. Von der Geraderaus-Aggressivität der Punkmutter war schon damals nichts mehr spüren: Stattdessen schmachtet eine Stimme wie Brian Ferry in seinen besten Tagen, in den samtweichen Arrangements bleibt man hängen wie in einem alten Sessel. Assoziationen an billige Plüschbars und festgeklebte Cocktailgläser sind gewollt. Trotzdem entgeht das LLLQ der Retrofalle, indem es das sattsam Bekannte verfremdet und auch mal der Lächerlichkeit preisgibt: Rock ’n’ Roll im Delirium, ganz nüchtern vorgetragen. „Glücklich gestörte Melancholie – eine Atmosphäre, die vielleicht auch mit dem unkontrollierten Konsum der Musiker von David-Lynch-Filmen zu tun hat“, mutmaßte das Quartet damals in seinem eigenen Info.

Brian Ferry ist geblieben, David Lynch auch. Diesmal ganz konkret in Form einer Hommage an den „Slow-Club“, jene schummrige Nachtbar in „Blue Velvet“, in der man seinen Verstand an der Garderobe abgibt. Doch auf dem neuen Album, schlicht mit dem Bandnamen betitelt, findet sogar schwarze deutsche Romantik ihren Platz. Eine Vertonung von Heinrich Heines „Lotusblume“ („Die Liebste ist schwach auf den Beinen, der Liebhaber, der lahmt sogar. Sie ist ein leidendes Kätzchen, und er ist krank wie ein Hund“) auf kuschligem Country gebettet fügt sich nahtlos in den humorigen Reigen zwischen Schmockabilly und Stehblues ein. Doch größtenteils bestimmen luftige Countryinstrumentals das Bild, die gleich einer Butterfahrt die abseitigen Schauplätze komischer Obsessionen miteinander verbinden. Und auch da entwickelt das Quartett eine ganz eigene Qualität, die vom gekonnt sparsamen Zusammenspiel der Akteure lebt.

Wenn der Stehbass schmatzt, die Gitarre hallig tropft, das Schlagzeug stetig marschiert, dann sind die zwar Wüstenrocker von Calexico oder Morricone-Sountracks nicht weit – aber im Grunde doch so fern. Denn statt in der großen Wüste ist das LLLQ auf kleinen, schmutzigen Nebenstraßen unterwegs. Dabei macht es auch Halt in Berlin-Mitte. JOACHIM SCHNEIDER

Morgen, Samstag, 21 Uhr im Schokoladen, Ackerstr. 169, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen