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Ihr Monsterfachmann in Schöneberg

Die Liebe zum Menschen und zu dem, was von ihm übrig bleibt: Jörg Buttgereit, der blondeste Mann Berlins, stellt heute sein neues Hörspiel vor

„Nekromantik“, der erste abendfüllende Film, den der Berliner Filmemacher Jörg Buttgereit 1987 drehte, handelt von der Liebe zum Menschen beziehungsweise zu dem, was von ihm übrig blieb. Die tragende Rolle wird von einem sehr überzeugenden verwesenden Leichnam gespielt. Und der leidende Serienmörder Schramm in Buttgereits gleichnamigen, vorerst letzten Kinofilm von 1993 wurde von Florian Koerner von Gustorf so eindringlich verkörpert, dass man ihn, bekannt als Filmproduzent und Schlagzeuger der Berliner Band Mutter, nie wieder unbefangen betrachten kann.

Auch vorurteilsfreie Menschen dürften wohl zugeben, dass sie sich einen Horrorfilm-Regisseur so nicht vorgestellt haben: Buttgereit ist der blondeste Mann Berlins, hat ein wahrhaft sonniges Lächeln und wird womöglich ewig wie dreißig aussehen. Er wurde 1963 in Berlin geboren, hat in Schöneberg seine Jugend verbracht, geheiratet und lebt immer noch dort. Seine Gutmütigkeit verrät er, als er von seiner Lehre als Schauwerbegestalter bei Wertheim erzählt: „Die habe ich vor allem meiner Mutter zuliebe gemacht.“ Neben Erfahrungen von Grafik bis Tischlerei hat er aus dieser Zeit vor allem einen Grundsatz mitgenommen, der fast nach Boheme klingt: „Ich habe mir damals geschworen, dass ich niemals von einem Nine-to-five-Job leben werde.“ Im Schöneberger Xenon-Kino, wo er schon als Kind regelmäßig Godzilla-Vorstellungen besucht hatte, bot man ihm nach der Lehrzeit eine Stelle als Filmvorführer an. Mit zwei Abenden in der Woche konnten die laufenden Kosten gesichert und die Verwandtschaft beruhigt werden. Bevor Buttgereit an seiner Selbstausbildung zum schaffenden wie beobachtenden Filmspezialisten zu feilen begann, war er nämlich erst mal Punk. „Meine Freunde haben damals Musik gemacht“ – das wird eindrucksvoll belegt in der Dokumentation „So war das SO 36“, wo Buttgereit bereits Koregie führte –, „ich habe mit dem Gehalt von Wertheim Super-8-Filme gedreht.“ Noch heute kann man sie bei seinen regelmäßigen Veranstaltungen bestaunen. Da ist zunächst „Captain Berlin“ von 1982, mit dem Regisseur als Held im Supermann-Kostüm, gefolgt von „Der Gollob“ (1983), diesmal spielte Buttgereit eine bedrohlich mutierende Killerpizza. In „Horror Heaven“ deutet sich bereits an, dass Buttgereit ein gefragter Fachmann in Monsterfragen werden wird: Seine Besetzung der Rolle des bedauernswerten Frankenstein erbringt den Beweis für die gestalterische Seite.

Nach achtzehn Jahren verkauft Buttgereit, dessen Filme längst auch in den USA und Japan vertrieben werden, im Xenon immer noch Tickets und Cola und bedient die antike Vorführmaschine. Allerdings aus romantischen Gründen. Buttgereit konnte nine to five tatsächlich entgehen, und während sich die Erträge aus den Kinofilmen amortisiert haben, sichert er sich mit seinem Spezialistentum mittlerweile die Existenz. Sein Alltag ist allerdings zu rastlos für einen Bohemien. Die Ausbildung zum Monster-, Trash- und Horrorfilm-Spezialisten verlief ohne Abitur und Studium. Motor war konsequentes Fansein, Punkattitüde und das Monströse als Herzensangelegenheit: „Um Godzilla kümmere ich mich zur Vergangenheitsbewältigung und zur Kulturpflege.“

Denn Monster wie Godzilla und das, was seit Mary Shelleys Roman aus Frankenstein wurde, ein bleibendes Bild von Boris Karloff mit eckigem Schädel, sind nicht nur wertvolle B-Film-Ikonen. Sie verkörpern unseren Größenwahn und unsere verborgenen Ängste. Ihre Pflege brachte Buttgereit Aufträge als Gastdozent am Institut für Theaterwissenschaften der FU Berlin, Angebote für die Regie von Musikvideos, das jüngste für TokTok, und die Betreuung der Special Effects bei der Comic-Verfilmung „Kondom des Grauens“, zusammen mit HR Giger. Seit man in der Filmredaktion des Tip nach einem Rezensenten für Scream suchte, schreibt Buttgereit noch Filmkritiken und führt Interviews mit David Cronenberg, Tim Burton und John Waters.

Eines seiner neusten Werke ist die Produktion des Hörspiels „Frankenstein in Hiroshima“ für den WDR. Hier wird, mit den Synchronstimmen von Jack Nicholson und Arnold Schwarzenegger, die Tonspur eines japanischen Monsterfilms der 60er-Jahre simuliert. Nach einer ersten Ausstrahlung im Radio Ende Februar, die Berlinern ohne Kabel vorenthalten blieb, kommt die Monstershow heute in den PrivatClub. Der Regisseur ist anwesend. Und legt hinterher Tanzplatten auf. JULIE MIESS

Heute, 22 Uhr, Frankenstein in Hiroshima: Jörg Buttgereit und Mr. Target, PrivatClub, Pücklerstr. 34, Kreuzberg

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