: „Das geht in die Hose“
Die Initiative für einen friedlichen 1. Mai stößt bei Innenverwaltung und Polizei auf beredtes Schweigen. In der Behörde zweifelt man am Konzept
von PLUTONIA PLARRE
Keine Antwort ist auch eine Antwort. Seit Wochen berichten die Medien von den Bemühungen des Personenbündnisses „Denk Mai neu!“ um den FU-Professor Peter Grottian für einen friedlichen 1. Mai „in einem polizeifreien Raum“ in Kreuzberg und Polizeiführung und Innensenator hüllen sich in Stillschweigen.
„Es ist noch zu früh, um eine Bewertung abzugeben“, sagt der amtierende Polizeipräsident Gerd Neubeck mit Hinweis auf den gerade erst begonnenen Monat März. Auch von Innensenator Ehrhard Körting (SPD), den das Grottian-Bündnis schriftlich aufgefordert hat, sich bis zum 2. April zu einer Strategie für den 1. Mai zu bekennen, ist keine Stellungnahme zu erhalten. „Wir haben das Schreiben nicht bekommen“, erklärte gestern eine Sprecherin der Innenverwaltung.
Zwar sind es noch ein paar Wochen hin, aber das ist kein stichhaltiger Grund. Wer die Tradition durchbrechen will, dass die Kreuzberger Maifestspiele zum 16. Mal in Folge in eine Straßenschlacht münden, muss früh anfangen. Im vergangenen Jahr war es die Polizei selbst, die schon am 6. März ihr Antigewaltprogramm für 1. Mai vorstellte. Und Unterstützung von außen hat sich der Chef der Schutzpolizei Gernot Piestert schon im Jahr 2000 in einem taz-Interview gewünscht: „Wo sind die Anwohner, die politischen Parteien, Jugendverbände und die Kirchen? Wo sind sie alle, die eigentlich gesellschaftliche Mitverantwortung tragen?“
In Wirklichkeit verbirgt sich hinter dem Schweigen die in Polizeikreisen verbreitete Überzeugung, dass das Grottian-Konzept nicht funktionieren wird. „Wenn 50.000 Leute zu den Veranstaltungen kommen, kann sich die Polizei unmöglich aus dem ganzen Gebiet rausziehen“, sagt der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Eberhard Schönberg, der sich mit Grottian wenigstens zu einem Gespräch getroffen hat. „Unter den vielen friedlichen Menschen wird sich die übliche Zahl von Störern befinden“. Das Grottian-Bündnis habe kein Druckmittel, um Krawalle zu verhindern.
Andere Polizeibeamte gehen davon aus, dass das Bündnis sein Engagement ohnehin bald einstellen wird, weil das Konzept in Teilen der autonomen Szene auf heftige Ablehnung stößt (die taz berichtete). Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) die einerseits Teil des Bündnisses ist, anderseits aber die „revolutionäre 1. Mai Demonstration“ zum Regierungssitz in Mitte angemeldet hat. „Um nur ja kein Warmduscher zu sein, werden die von der AAB nun vielleicht erst recht zeigen wollen, wo die revolutionäre Flamme hängt“, gibt ein Beamter zu Bedenken.
„Das Ganze geht mal wieder in die Hose“, wird in Polizeikreisen vermutet. Die spannende Frage ist, auf welche Strategie man sich verständigen wird. Ein Verbot wie im vergangenen Jahr kommt nicht in Frage, nachdem sich Innensenator Körting bereits öffentlich dagegen ausgesprochen hat. Andernfalls würden sich Teile der Polizei angesichts „gewisser Erfolge“ beim letzten Mal und der „guten Erfahrungen“ mit dem Demonstrationsverbot während der internationalen Konferenz für Sicherheitspolitik in München durchaus noch einmal für diese restriktive Maßnahme entscheiden, lautet die Einschätzung. Neubeck – aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Polizeipräsidenten – hatte das Verbot der 1. Mai Demonstration Anfang November in einem Interview als „etwas Neues“ bezeichnet: „Und nun sollte man Geduld haben und dieses Konzept vielleicht mal ein paar Jahre ausprobieren“. Aktuell will sich Neubeck nicht äußern. In der Polizei gibt es aber auch Stimmen, die vor einem Verbot warnen, weil damit erst recht Öl ins Feuer gegossen werde.
Egal welchen Verlauf die Vorbereitungen für den 1. Mai nehmen. Die Presse wird mit Argusaugen darüber wachen, was der rot-rote Senat tut, nicht nur die B.Z., auch die taz. Insbesondere nachdem die Polizei im vergangenen Jahr mit der Einkesselung von hunderten von Menschen für unrühmliche Schlagzeilen sorgte. Die bunt gemischte Menge wurde stundenlang ohne Angabe von Gründen auf Anweisung eines Direktionsleiters festgehalten. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein Seminar, das am Montag in der Landespolizeischule für Polizeiführungskräfte stattfindet, ungewollte Aktualität. Das Thema: „Die Bewältigung von länderübergreifenden Großlagen unter Berücksichtigung von Masseningewahrsamnahmen“. Um keine Missverstände aufkommen zu lassen, beeilte sich der amtierende Polzeichef aber zu versichern: Das Seminar sei keine Vorbereitung für den 1. Mai, sondern eine reine Routineangelegenheit.
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