: Vom Vater lernen heißt töten lernen
Jens Beckers Dokumentation „Henker“ spürt die letzten Vertreter eines alten europäischen Gewerbes auf
Als Elena Ceaușescu bei ihrer Verhaftung aus dem Panzerwagen kletterte, in dem sie mit ihrem Gatten Nicolai im Dezember 1989 eine ziellose Flucht angetreten hatte, sei von ihr der Geruch einer alten, ungepflegten Frau ausgegangen. Ihr Mann hingegen war frisch rasiert und parfümiert. Detailkenntnisse, die wir einem Herrn namens Ionel Boeru verdanken, Offizier der Eliteeinheit, die ironischerweise zum persönlichen Schutz Ceaușescus formiert worden war, ihn aber letztlich dingfest machte und zu Tode brachte. Boeru war jener Mann, der das gesamte Magazin seiner AK-47 auf die berühmten Pelzmantelträger abfeuerte. Ein Vollstrecker.
Mit dieser einmaligen, der Dynamik des Zeitgeschehens unterworfenen Tat verkörpert der Rumäne Boeru eher die Ausnahme innerhalb des Panoptikums von Scharfrichtern, die Jens Becker und Gunnar Dedio in ihrer bündig mit „Henker“ überschriebenen Dokumentation vor der Kamera versammelt haben. Da ist zum Beispiel Fernand Meyssonnier, der in Algerien mehr als 200 Menschen, vorrangig FLN-Kämpfer, juristisch legitimiert ermordet hat. Heute lebt er in der Provence und erzählt entspannt von der harmonischen Zusammenarbeit mit seinem ebenfalls als Henker tätigen Vater, der ihn faktisch angelernt hatte. Nach Massenhinrichtungen war es mitunter schwierig, die von der Guillotine abgetrennten Köpfe den entsprechenden Körpern zuzuordnen – auch eine schöne Familienerinnerung. Oder Joseph Malta, der als Wehrpflichtiger der US-Army nach Kriegsende mehr oder weniger zufällig zum letzten „Wegbegleiter“ von 46 in Nürnberg zum Tode verurteilten Nazikriegsverbrechern avancierte. Er bedauert gestenreich und glaubwürdig, dass er die Delinquenten nicht habe foltern dürfen – schließlich sei der Tod durch den Strang eine viel zu milde Strafe gewesen. Weil die Häftlinge teils stark an Gewicht verloren hatten und ihre Eigenmasse beim Fall nicht zum Bruch des Rückgrats führte, pflegte Malta sich an ihre Beine zu hängen.
Paul Sakowski hingegen wollte sich 1937 als jugendlicher Kommunist von Breslau nach Spanien durchschlagen, um auf Seiten der Republikaner am Bürgerkrieg teilzunehmen. An der Grenze zur CSR gefasst, kam er ins KZ Sachsenhausen, wurde dort gezwungen, Dutzende von Mithäftlingen zu exekutieren. Die Russen verurteilten ihn 1945 zu lebenslänglicher Haft, aus der er 1970 als restlos gebrochener Mann entlassen wurde.
Becker/Dedio bemühen sich bei diesen und anderen Todesboten eindringlich um eine differenzierte Zeichnung ihrer Gesprächspartner, um Prägungen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Die Dokumentation erweist sich zudem als überaus sorgfältig recherchiert. Beklemmende Archivbilder stehen neben den aktuellen Porträts, ergänzen, kommentieren, konterkarieren sie durchaus effektiv. Leider wurde dieses assoziationsreiche Verfahren nicht durchgehalten: Von Beginn an grummelt effektheischende Privatfernsehmusik, die Aussagen der Henker werden durchweg mit einer voice over ins Deutsche übertragen – der dümmsten und unangenehmsten Methode filmischer Textübersetzung.
Trotz dieser Mängel geht „Henker“ relativ elegant mit dem immanenten Grauen seines Themas um und kommt ohne moralische Gemeinplätze aus. Stattdessen vertraut der Film auf die subversive Energie seines Materials. Wenn zum Beispiel Monsieur Meyssonnier gut gelaunt die Funktionsweise „seiner“ Guillotine beschreibt, so spiegeln sich darin universelle Abgründe, die weit über das Gezeigte und Gesehene hinausgehen.
CLAUS LÖSER
„Henker“, Regie: Jens Becker, Deutschland 2001, 90 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen