Melting The World

Harry Belafonte ist immer mehr gewesen als nur ein Interpret munterer Karibiksounds. Gerade ist der Entertainer der Bürgerrechtsbewegung 75 geworden. Eine CD-Box würdigt seine frühen Jahre

von JAN FEDDERSEN

Sie hatte sich nichts dabei gedacht. Wozu auch? Ihre Geste war spontan. Eine politische Bedeutung steckte jedenfalls bei Petula Clark nicht dahinter, als sie einen Kollegen bei einem Duett sacht berührte. Die Sängerin, seit ihrem Hit „Downtown“ auch in den Staaten ein Star, sollte in einer Show des US-amerikanischen Senders NBC singen. Irgendeine Harmlosigkeit, ein Stück Unterhaltung irgendwo zwischen „Don’t Sleep In The Subway“ und „Jamaica Farewell“. Jedenfalls nicht gerade das, was nach Aufruhr, nach brennenden Baumwollfeldern, einem Aufstand der Sklaven oder nach Hass geklungen hätte. Und doch machte dieses Duett Fernsehgeschichte, weil Petula Clark ihren Partner während einer Liedzeile sacht am Arm berührte.

Skandal!, empörte sich der Sponsor von Clarks TV-Show – denn der Mann, den die Britin berührte, war Harry Belafonte, mit Titeln wie „Matilda“ oder „Island In The Sun“ der King of Calypso der fünfziger Jahre – und doch nicht ganz gesellschaftsfähig, weil seine Hautfarbe nicht weiß war. Der Sender ließ sich nicht beirren. Längst hatten dessen Quotenanalysten herausgefunden, dass offenkundige Diskriminierung von Schwarzen, besser: deren Separation vom sonstigen Unterhaltungsgewerbe im Programm, dem (liberalen weißen sowie schwarzen) Publikum gar nicht gefiel. Also wurde die Szene, an die kürzlich die US-Dokumentation „Black in TV“ erinnerte, nicht aus der Show herausgeschnitten. Mit einem wie Belafonte wäre eine solche Apartheid im Entertainment nicht mehr machbar gewesen.

Es waren jene Jahre, als die Weißen langsam, aber fühl- wie hörbar in Begründungszwang für ihren Rassismus kamen. Als nicht mehr klaglos hingenommen wurde, dass dunkelhäutige Bürger in Omnibussen nicht neben hellhäutigen Bürgern sitzen durften oder afroamerikanischen Jugendlichen untersagt war, die Colleges und High Schools des weißen Nachwuchses zu besuchen.

Und der damals 31-jährige Sänger und Schauspieler, der seine Karriere in Harlem, dem nördlichsten Bezirk New York Citys begann, in jenem schon aus finanziellen Gründen bevorzugten, weil billigen Viertel nichtweißer Amerikaner, hatte ebendiesen Zeitgeist, so gut er konnte, mit befördert – lautlos hätte er nicht hingenommen, dass diese Sequenz im Sinne des Verhaltenskodexes „Whites Only!“ getilgt wird.

Er war damals längst ein Star, wohlhabend, arriviert. Der erste schwarzhäutige Musiker des jungen Popgeschäfts, der von einem Tonträger mehr als eine Million Exemplare verkaufte – erfolgreich in einem rassistisch durchwirkten Land.

Belafonte konnte diesen wie auch viele andere Kämpfe gewinnen – weil es bei ihm nie wie Kampf aussah. Stets hatte er in dem, was er machte und was er repräsentierte, eine gewisse Aura des Selbstverständlichen, die sich irgendwann durchsetzen würde.

Der gebürtige New Yorker, der wie kaum ein anderer Künstler seiner Ära für das Prinzip des Melting Pot, der kulturellen Durchmischung, stand, gilt heute in seinem Land, in Amerika, als Autorität – in Europa ist er vorwiegend bekannt als Interpret munterer (und heute noch erfrischend wirkender) Sounds karibischer Herkunft. King of Calypso: in diesem Titel lag notgedrungen etwas Bitteres, denn auch wenn Belafonte den „Banana Boat Song (Day-O)“ oder „Mama Look A Boo Boo“ sang, also textlich von den entwürdigenden Mühen schlecht bezahlter Arbeit auf Obstplantagen berichtete, verschwand dieser Realismus unter einer Musik, die extrem gut tanzbar war, die mitriss und gute Laune machte.

Der Sänger gab seinen Auditorien freilich auch kaum Gelegenheit, sich mit dem gewissen Realismus seiner Texte auseinander zu setzen. Letztlich dementierte Belafontes Stimme jede Anwandlung von Protest gegen die unwürdigen Verhältnisse auf den Bananenfeldern – sie klang niemals anders als weich, geschmeidig, ganz und gar kultiviert und schön; selbst in den aggressiveren Parts seiner Lieder, wenn er eigentlich hätte brüllen können, war es nur ein geschmackvolles, wohltemperiertes Aufseufzen.

Ebendiese Gediegenheit im Ausdruck, diese gänzliche Friedlichkeit, dieses Fehlen von Hass wurde ihm in weiten Teilen der Medien immer ungünstig ausgelegt. Belafonte war nie ein Kämpfer, ihm gebrach es an jeglicher Pose des Aufbegehrens. Selbst als er nach seinem ersten Bühnenauftritt im „Birdland“, der Weihestätte des Jazz, ausgebuht, ja auch mit Tomaten beworfen wurde, weil nichts an diesem Spross der Stadt roh und wild wirkte: Belafonte, der gute Sohn, dessen Mutter ihm sagte, mit guten Manieren könne im Leben nichts schief gehen, dieser Sänger war dem Mittelschichtspublikum des Jazz einfach zu wenig ungebärdig. Es wurde für Belafonte in den sechziger Jahren eher noch schlimmer, als der Zeitgeist (und die an ihm hängende Boheme der Beat- und Woodstockmilieus) afroamerikanisch inspirierte Kulturen nur noch respektierte, wenn sie sich im Duktus der (nun politisch begründeten) Wildheit äußerten.

Noch heute klingt diese Hoffart durch, wenn, anlässlich eines Konzerts in der Schweiz, Belafonte durch den Rezensenten der Neuen Zürcher Zeitung abgekanzelt wird mit den Worten, er singe in einer „bilderbuchhaften, pasteurisierten und daher mehrheitsfähigen Manier“. Pasteurisiert – also nicht rohmilchig? Ein Vorwurf, den sich schon das Motownlabel zuzog – obwohl dessen (gut gelaunte) Musik eher zum Unterhaltungskanon der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (um Martin Luther King) zählte als die der Heroen des linksliberalen (und auf Underground abonnierten, weißen) Establishments, von Musikern wie Jimi Hendrix etwa.

Nein, Schwarze dürfen sich nicht am Geschmack probieren, den vielleicht viele Menschen gerne genießen – es muss schon Soul mit offenkundigem Rebellions- und Drogenappeal sein. Mehrheitsfähig – das wollte Belafonte, der auf Kritiken verwöhnter Mittelschichtsjungs nie etwas gab, in der Tat aber immer sein: als Weltmusiker, dessen Repertoire sich locker aus jüdischen, karibischen, afrikanischen und sonstwie folklorehaften Partikeln zusammensetzt.

Offen ist nur, welche (politische) Strategie erfolgreicher sein wird: jene der zeitweisen Anpassung an die Verhältnisse, um sie dann mit Hilfe des eigenen Erfolgs zu ändern; oder jene, die ein klares Nein formuliert. Belafonte darf sich heute, nach Jahrzehnten des politischen Engagements für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA, gegen den Vietnamkrieg, für die Friedensbewegung in den achtziger Jahren oder gegen die Apartheid in Südafrika, prominenter Freundschaften sicher sein. Nelson Mandela, by the way, nennt ihn den wichtigsten schwarzhäutigen Mann in der Geschichte der USA nach Martin Luther King – ein Lob, dessen man sich ja nicht schämen muss.

Belafonte, der in den vergangenen fünfzehn Jahren nur noch mit afrikanisch inspirierten Programmen tourte, will seinen alten Kram nicht mehr singen – „das ist Stoff von früher“. Bear Family Records hat eine Hommage („Island In The Sun – The Complete Recordings 1949 – 1957“, 5-CD-Box mit hundertseitigem Booklet, 122,71 Euro) veröffentlicht, auf der nachfühlbar wird, welche Attraktivität die Kunst des Harry Belafonte hatte und nach wie vor hat: ein spektakuläres Dokument der heiteren, gelegentlich melancholischen Art, dessen Interpret sich der Unterhaltungsmaschine, mit Kurs auf den Mainstream, bediente, um deren Möglichkeiten zu erweiteren.

JAN FEDDERSEN, 44, taz.mag-Redakteur, liebt Belafontes Version von „Hava Nagila“