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Schmauchen, schmunzeln, wichsen

Am Donnerstag gastierte Michel Houellebecq im Deutschen Theater, dessen Lesereihe „DT Extra“ an die Mischkalkulation der Volksbühne erinnert. Heute und morgen wird Max Goldt Texte lesen, die er in Berlin bislang „garantiert nicht vorgetragen“ hat

von JAN ENGELMANN

Der Satz steht da ganz lapidar, und er ist so richtig wie weise: „Etwas geschrieben zu haben, ist noch lange kein Grund, etwas vorzulesen.“ Max Goldt, perfektionistischer Vorträger der eigenen Texte, knöpfte sich in den Liner Notes zu seiner 97er CD „Schöne Greatest LeseLive Oldies“ jene Rahmenbedingungen vor, unter denen Autoren zu leiden hätten. Neben schlechten Locations mit schlechter Akustik sei es vor allem auch ein nerviges Publikum, das Lesungen zuweilen zur Tortur mache. Er zielte dabei auf jenes „finstere Prozent, welches kommt, um sich selbst zu feiern … Diese Leute sind eine Pest. Man erkennt sie unschwer an ihren öden Konsumgörenvisagen, sie knallen sich in die erste Reihe und legen ihre Beine auf den Bühnenrand. Ihr Gelächter ist laut, aggressiv und vollkommen wahllos … Diese Kretins gibt es im Frankfurter Raum, vereinzelt in München und leider vor allen Dingen in Berlin.“

Die Wette gilt, dass Max Goldt diesen Zeitgenossen an diesem Wochenende wieder begegnen dürfte. Denn das Deutsche Theater lockt mit Texten, die Goldt bei seinen letzten Lesungen in Berlin „garantiert nicht vorgetragen“ habe. Interessant ist der Nachsatz, eben darin bestünde die ganz besondere „Herausforderung für die Goldt-Habitués“. Mal abgesehen von der Frage, ob man sich gerne unter eine Horde von „Habitués“ (die Steigerungsform von Kretin?) subsumieren lassen möchte, muss erschrecken, was das DT schon als „Herausforderung“ begreift. Im offensichtlichen Bemühen, an die Mischkalkulationen der Volksbühne anzudocken, werden hier relativ wahllos Autorenlesungen zur Reihe „DT Extra“ hochgejazzt: Der unvermeidliche Ben Becker darf am 14. März „persönliche Textanverwandlungen“ von Lennon-Lyrics öffentlich verbreiten, der unverwüstliche Dieter Hildebrandt einen Tag später das Medienimperium Leo Kirchs aufs Korn nehmen.

Die Berliner haben gegen eine gewisse Dienstleistungsorientierung bei Autorenlesungen sicher nichts einzuwenden, kennen sie doch „vor sich hinmurmelnde Dichter mit Mikrophonangst“ (Max Goldt) zur Genüge. Vor diesem Hintergrund schien es allerdings kein besonders cleverer Zug zu sein, am Donnerstag ausgerechnet Michel Houellebecq ins DT zu laden, einen Autor, der bekanntermaßen Lesungen als lästige Pflichtübungen ansieht und dabei seine antrainierte Sozialangst zu Markte trägt. Doch das in Scharen herbeigeströmte Publikum, das sich diesmal weniger aus Hildegard-Knef-Doubles denn aus Roger-Willemsen-Epigonen rekrutierte, wollte vermutlich genau dies: eine kleine Freak-Show mit dem Mann, den das Ankündigungsblatt als „skandalumtost“ beschrieb.

Houellebecqs Frisur schien, mehr noch als „der sanfte Ruf der asiatischen Möse“, den sein Roman „Plattform“ propagiert, dieser Einschätzung Recht zu geben. Etwas verlegen, statt mit der obligatorischen Plastiktüte nun mit Rucksack bewaffnet, steht er plötzlich auf der Bühne und ist schon wieder weg, mental gesehen. Von einer „Bühnenpräsenz“ kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein, denn für die nächsten vierzig Minuten übernimmt DT-Schauspieler Robert Gallinowski das Ruder. Während dieser schmauchend, aufstoßend und lustvoll performt, guckt Houllebecq skandalumtost in die Ferne oder raucht auf französisch codierte Weise, mit dem Glimmstängel zwischen extrem abgespreizten Mittel- und Ringfinger. Hin und wieder schmunzelt er, vermutlich angesichts der lustigen deutschen Übersetzung. Sonst passiert nicht viel. Irgendwann schüttet er sich ein Bier ein, und weil er dies so unfachmännisch, ja existenzialistisch tut, quillt das Glas über vor Schaum. Das Publikum rast vor Glück. Zeitgleich müht sich sein Romanheld mit einem Thai-Mädchen ab, d. h. Gallinowski übt sich in kongenialem Stöhnen. Für die verspannten Lacher der Connaisseure hat Houellebecq nur einen verachtenden Blick übrig.

Dadurch, dass der frankophone Anteil des gehaltbereiten Publikums bei ca. 0,8 Prozent liegen dürfte, wird mit einiger Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass Houellebecq sich nur auf wenige Abschnitte beschränkt. Er tut dies leise, fast beiläufig, zitiert manche Sätze komplett aus dem Gedächtnis und tut alles, um den größtmöglichen Kontrast zum deklamierenden Ton des etatmäßigen Vorlesers zu entwickeln. Das ist das Schönste an dieser absurden Veranstaltung: dass da einer, den man nur auszustellen gedachte, doch irgendwann mürrisch beschließt mitzuspielen.

Allerdings nur für kurze Zeit. Plötzlich verebbt seine Stimme, er nickt wie zur Bekräftigung, dass das Schlimmste für ihn nun überstanden ist. Als sich zögerlich Applaus einstellt, kaut Houellebecq Fingernägel. Er steht da wie ein Schuljunge, den man beim Wichsen erwischt hat. Sollte es ein Copyright auf coole Autorengesten geben, an dieser könnte man sich dumm und dusselig verdienen. Ganz so wie mit „skandalumtosten“ Romanen.

Heute, 21 Uhr, und morgen, 20 Uhr, im Deutschen Theater, Schumannstr. 13 a.

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