Heilsame Klänge

Im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau werden Frühgeborene in Musik gebadet. Gelegentlich greift der Chefarzt auch schon mal selbst zum Cello und spielt den Kleinen etwas vor. 400 Neugeborene und Frühchen werden hier pro Jahr versorgt

Die Babys liegen in durchsichtigen Kästen. Schläuche und Kabel sorgen dafür, dass sie mit Sauerstoff und Nahrung versorgt werden. Einige der Inkubatoren sind mit Tüchern abgedunkelt: Die Babys schlafen. Auf der Neonatologie im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau herrscht nicht die sonst auf Intensivstationen vermutete hektische Betriebsamkeit. Neben chromblitzenden Geräten gibt es Kuscheltiere, Mobiles und schöne Bilder. Die Schwestern sehen nach den Kleinen, versorgen sie nicht nur medizinisch, sondern auch mit Streicheleinheiten.

Viele Eltern sind hier. Einige singen den Kindern etwas vor, andere legen CDs in die Abspielgeräte: Die Babys baden in heilsamen Klängen, denn die Brutkästen sind mit kleinen Lautsprechern versehen. Den „Frühchen“ wird mehrere Stunden am Tag Musik vorgespielt. „Dass Musik eine besondere Wirkung auf Menschen hat, ist hinreichend bekannt“, erklärt der Chefarzt Professor Harald Schachinger seinen Ansatz, Frühgeborene mit Musik zu „behandeln“. Bereits in der 12. bis 15. Schwangerschaftswoche ist die Hörfähigkeit des Kindes gut nachweisbar. Wenn es also geboren wird – unabhängig davon, ob pünktlich oder viel zu früh – bekommt das Baby sofort alles mit, was um es herum passiert. Über das Ohr findet das Kind zur Welt. Hört es Musik, die es womöglich schon im Mutterleib hörte, wirkt das beruhigend.

Doch ist das Wiedererkennen der Töne keine Bedingung für die positive Wirkung der Musik. Klassische Musik wirke zwar besonders harmonisierend, so Schachinger, aber wenn die Mutter während der Schwangerschaft vorrangig Pop hörte, dann solle man den Frühgeborenen eben etwas Pop vorspielen. „Wir möchten, dass das Kind in eine akustisch gute Atmosphäre kommt und sich zu Hause fühlt“, begründet Harald Schachinger, denn das wirke sich positiv auf Herzrhythmus und Atmung aus. Und von der Atmung hänge vieles ab: Kinder, die Musik hören, müssen weniger lange am Beatmungsgerät verbleiben.

Am Anfang von Schachingers Behandlungsmethode standen eher zufällige Beobachtungen. Inzwischen ist die positive Wirkung von Musik auf die Entwicklung der Frühgeborenen nachgewiesen. Dass darüber hinaus natürlich auch medizinisch alles Wesentliche unternommen wird, versteht sich von selbst.

Doch rückt die Versorgung der Frühgeborenen mit Hightech-Medizin beinahe in den Hintergrund. So sind nicht nur die vertrauten Stimmen der Eltern von großer Bedeutung – das Kind kennt sie bereits aus dem Mutterleib –, sondern auch der Körperkontakt. Im Waldkrankenhaus wird deshalb die „Känguruh“-Methode angewendet: Sobald es ihr Zustand zulässt, werden die Kleinen auf Papas oder Mamas Haut getragen. Sie spüren die Körperwärme, nehmen an den Bewegungen der Eltern teil und hören deren Herzschlag. Wird dann noch gesungen, gesprochen oder im Raum Musik gespielt, schweben die Winzlinge in einer wohligen Klangwolke. Und gelegentlich setzt sich der Chefarzt der Neanatologie sogar höchstpersönlich auf die Station – und träufelt mit seinem Cello seinen Schützlingen weiche Töne in die Ohren.

Das Wichtigste sei für ihn, betont Harald Schachinger, die Einbeziehung der Eltern in die Pflege der Frühgeborenen. Sie könnten in einem Apartment auf dem Klinikgelände sogar eine Zeit lang wohnen. Je mehr über das medizinisch Nötige hinaus für die Kleinen getan werde, desto günstiger wirke sich dies auf die spätere Entwicklung aus. Das sei zwar nichts Neues, nur ging es im Laufe der Zeit durch den großen Einfluss der Schulmedizin – hinter der er aber auf jeden Fall stehe – ein bisschen verloren.

So versuche man etwa, auch im Inkubator den natürlichen Rhythmen so weit wie möglich zu folgen und die Pflege und Versorgung anzupassen: Wollen die Kleinen schlafen, wird abgedunkelt, und auch die heilsame Musik wird nicht pausenlos gespielt. Wenn die Kinder partout nicht schlafen wollen, helfen auch hier Töne, genauer: ein Sinusgenerator. Das kleine graue Gerät gibt ein beruhigendes Rauschen von sich, das schläfrig macht – je jünger die Kinder sind, desto eher reagieren sie darauf.

Auf der Frühgeborenenstation stehen 15 Betten, davon fünf mit Beatmungsmöglichkeiten. Insgesamt werden etwa 400 Früh- und Neugeborene pro Jahr versorgt. Kinder, die in der 27. bis 30. Woche geboren werden, können etwa zum Zeitpunkt des ursprünglich geplanten Geburtstermins aus der Klinik entlassen werden – wenn sie sich gut entwickeln, auch schon mal früher.

Wichtig sei aber auch die Nachsorge für Frühgeborene, so Schachinger. Deshalb gebe man den Eltern weiter führende Empfehlungen für Therapien, arbeite zudem eng mit Kinderärzten, aber auch mit Behörden zusammen. Sozialarbeiter ergänzen das Angebot. Schachinger: „Wir sind hier so gut abgesichert, dass jeder die richtige Hilfe bekommt.“ KATHARINA JABRANE

Prof. Harald Schachinger, Evangelisches Waldkrankenhaus Spandau, neonatale Intensivstation, Tel. 37 02-10 25