: Hier ein Haufen, da eine Höhle
Was tun, wenn die Bücher aus allen Ecken quellen und die Wohnung überwuchern?
Bücher sind eine rechte Last. Wer schon einige Male umgezogen ist und mehr als fünfzig dieser Dinger besitzt, wird das bestätigen können. Unglaublich, welch physisches Gewicht Bücher vorzuweisen haben, da verblasst jeder Kleinwagen, jede Waschmaschine, jede Schwiegermutter. Millionen Menschen kenne ich, denen das Eigentumsrecht über selbst ein Buch fremd ist oder die lieber ihr Sparbuch als solches ausgeben. Sie aber sollten aus Überzeugung zu denen gehören, die viele Bücher besitzen wollen und das öffentlich bekennen.
Bücher sind eine rechte Lust. Comic-, Schund- und Pornoheftchen dürfen getrost als Einstiegsdroge herhalten, später Paperbacks, und dann gibt’s kein Halten mehr: Wittgenstein, Pilcher, Walser. Kleindiebstahl, Tausch, Schenkung, selbst mündlich abgeschlossene Kaufverträge in Buchgeschäften vermehren den Bestand auf wundersame Weise. Sind Sie Rezensent beziehungsweise selbst Schreibender, verlieren Sie mit der Zeit vollends die Kontrolle. Die Postbeamten legen Ihnen vertraulich die Anschaffung eines größeren Briefkastens nahe, die Lebensgefährtin eine größere Wohnung. Büchernarren ziehen nicht etwa um, weil sie ihre Wohnlage verbessern oder desperaten Nachbarn entkommen wollen. Nein, die vielen Bücher müssen schließlich Platz haben. Dabei gelten Bücher einrichtungstechnisch durchaus als attraktiv – denken Sie nur an die Buchattrappen der Möbelhäuser. Wie auch immer: Fenster und Türen wollen ansatzweise begehbar sein. Neigen Sie zur Fortpflanzung im herkömmlichen Sinn, können einige Stapel notdürftig für ein Kinderbettchen ausgehöhlt werden. Wer dauerhaft keine Menschen um sich duldet, der möge wenigstens mit Büchern vorlieb nehmen. Die von der geistig puckligen Verwandtschaft und Bekanntschaft unermüdlich repetierte „Hast du die alle selber gelesen“-Frage gibt Ihnen zudem das Recht, Nichtleser unverzüglich hinauszuwerfen.
Irgendwann sagen Sie zu dem aus allen Ecken und Schränken quellenden Bücherhaufen „Bibliothek“, vermutlich haben Sie auch ein Zimmer, in dem es besonders wimmelt. Darin treffen Sie sich mit Schwestern und Brüdern im Geist und parlieren über Bücherbeschaffungskriminalität. Sie können aber auch darüber reden, was Sie wiederum aus Büchern erfahren haben: Was Heino so getrieben hat, wie Knoten gemacht werden oder warum es Fußnoten gibt, welche Geheimnisse die Knochen verraten, womit Gott seine Freizeit verbringt, was Tiere so kochen und ob sie in den Himmel kommen. Bücher, insbesondere, wenn man sie liest, sind eine gerechte List gegen Dumm- und andere -heiten. Wer hätte das gedacht?
Über all diesen Gesprächen wird gern vergessen, dass eine Wohnung, die Ihrer ungehemmten Büchernarretei entspricht, einfach nicht zu den erschwinglichen Dingen dieser Welt gehört. Was aber tun? Bücher verschenken? I wo. Sie haben nichts zu verschenken! Verkaufen? An wen? Jeder Buchhändler ist froh, ein Buch verkauft zu haben. Wegwerfen? Sind Sie verrückt? Verbrennen gar? Niemals. Stiften? Der nahebei gelegenen öffentlichen Bibliothek oder Blinden- und Versehrtenheimen? Hm. Aber wie viele? Und welche? Aus leidvoller Erfahrung sage ich Ihnen: Die Zeit der Auswahl wäre eine zu kostbare und die Auswahl an sich etwas Schmerzendes und Quälendes.
Also lassen Sie alles, wie es ist, auch wenn Sie – wie ich – in einer ziemlich würdelosen Haltung mit einer Hand diesen Artikel eintippen müssen, während Sie mit dem Rest des schwächelnden Körpers zwei ganz schön wacklige, turmhohe Stapel Schmutz- und Fachliteratur davon abhalten, auf die Computertastatur zu polterrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
MICHAEL RUDOLF
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen