: Erschlagen vom Theaterdonner
■ Andrej Woron mit „Der Meister und Margarita“
Vom Bühnenhimmel hängt eine Uhr, wie ein Anker. Mit exakter, mitteleuropäischer Ortszeit. Als sollte der Abend einen Fixpunkt bekommen beim wilden Galopp durch verschiedene Epochen und Realitätsebenen. Die Uhr gibt Halt: Heute, im Hier und Jetzt wird eine Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die auf historischen Augenblicken basiert und doch zeitlos das Universelle meint.
Das Programmheft raunt von „Menschheitsdichtung“ und berichtet von der Korrespondenz des Stücks zu Dantes „Göttlicher Komödie“ und Goethes „Faust“. Allerdings ist „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow keine Versdichtung, sondern ein Roman. Und den hat der Regisseur Andrej Woron für das Theater am Goetheplatz umgearbeitet. Aus 500 Seiten Prosa wurden drei Stunden Theater.
Ein heikles Unterfangen, denn der Roman ist mit seinen zwei ineinander verflochtenen Handlungssträngen nicht einfach gestrickt. Da gibt es im ersten Handlungsstrang die Geschichte vom Schriftsteller Meister, der im Moskau der 20er Jahre einen Roman über Pontius Pilatus schreibt und damit beim bolschewistischen Literatur-Establishment durchfällt. Der zweite Handlungsstrang erzählt den Plot von Meisters Pontius-Pilatus-Roman, erzählt vom römischen Kaiser und seinen ethischen Konflikten. In beiden Handlungssträngen ist der Teufel in Gestalt des Magiers Voland präsent. Margarita, die Frau von Meister, paktiert mit dem Teufel, wird zur Hexe und rettet damit den geliebten Ehemann aus der intellektuellen Isolation im 20er-Jahre-Moskau.
Autor Bulgakow vermischt in „Der Meister und Margarita“ Realität und Fantasiewelten, eine Einheit von Ort, Zeit und Raum gibt es nicht. Dafür gibt es einen Teufel, der für Gerechtigkeit sorgt und Moskau als magischer Impressario kräftig aufmischt. Und es gibt eine Irrenanstalt, einen Satansball, rollende Köpfe und eine Liebe voller Aufopferung. Eine vielschichtige, komplexe Angelegenheit – Regisseur Andrej Woron hat sich damit einiges vorgenommen.
Und er scheitert schnell. Die Geschichte ist gerade eingefädelt, beginnt gerade zu interessieren, als es auch schon wieder vorbei ist mit ihr. Woron kapituliert vor dem Plot und verlässt sich ganz auf selbstgefälligen Budenzauber: Theaterdonner statt Handlungsverlauf. Der Roman als Auslöser einer Materialschlacht.
Über der Bühne hängt ein Drahtseil zum Balancieren, im Bühnenboden versenkt ist ein Wasserbecken zum Reinspringen und Rumspritzen und auf der Bühne tummelt sich grell überzeichnetes Theaterpersonal, als wär's die Rocky Horror Picture Show und Jesus Christ Superstar auf einmal. Zwischendurch wird es kurz interessant. Für den gleichgeschalteten Moskauer Literaturbetrieb hat Woron ein aussagekräftiges Bild gefunden: Die Kritiker sitzen nebeneinander an einer Tafel, reichen im Takt den Roman weiter und zeigen mit der immer gleichen, simultanen Geste ihre programmierte Abscheu.
Dafür ist dann der Einbruch des Teufels in Moskau ein phantasiefreies, aufwändig choreographiertes Zirkusspektakel: Extra engagierte Akrobaten wirbeln durch die Luft, ein inszenierter Tumult im Zuschauerraum sorgt für irritierte Blicke im Volk, es wird so lange gesungen und geklatscht, bis alle kapiert haben, dass sich Regisseur Woron im Zirkus richtig auskennt. Dass ihn der Zirkus richtig interessiert. Im Gegensatz zum Roman.
Im zweiten Teil des Abends ist das Pendant zum Zirkus der Satansball, der unter Mithilfe der Aktiven des Tanzclubs „TTC Gold und Silber“ zur Tango-Revue wird. Vorher wird Jesus in der Irrenanstalt gekreuzigt und Margarita steht unter einer Regendusche vom Bühnenhimmel. Nachher heben der Meister und Margarita in einem Star-Wars-Flieger ab in Richtung Erlösung. Eine ironisch gebrochene Himmelfahrt – organisiert vom Teufel.
Aber wer was warum macht, das ist sowieso egal. Worons „Meister“ ist ein opulenter Bilderreigen, der lediglich über die Ausstattung im Theater am Goetheplatz Aufschluss gibt. Hier noch eine Tür, da noch eine mobile Wand, dort eine Hebevorrichtung – Woron nutzt die Möglichkeiten der Spielstätte mit großer Lust am Effekt. Und weil ein Effekt den anderen jagt, ist die Uhr, die über allem hängt, nicht nur ein Anker, sondern schlichtweg ein Instrument, das eigene Zeitempfinden zu überprüfen. Die drei Stunden, sie dauern lang. Klaus Irler
12., 14., 20., 23. und 28. März
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