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Der Tod singt mit

Benjamin Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“ ist nach einer stereotypen Gespenstergeschichte von Henry James entstanden. Harry Kupfer hat das Schauerstück nun an der Komischen Oper aus dem banalen Gruseln gerettet

Trotz neuer Musik hat Britten zeitlebens eine bedächtige Moderne vertreten

Natürlich lässt sich der Würfel nicht neu erfinden, ist eine drehbare Bühne kein ausgesprochenes Novum, lagern halb transparente Gazestoffe seit Jahren als Meterware in den Opernwerkstätten dieser Welt. Und innovativ mag man eine Regiearbeit, die auf eben diesen Elementen aufbaut, nicht nennen. Harry Kupfer, Regisseur der Komischen Oper, beschränkt sich in seiner jüngsten Inszenierung, der Kammeroper „The Turn of the Screw“ von Benjamin Britten, im Wesentlichen auf eben diese drei Stilmittel – und rettet damit das Stück.

Die Vorlage zur Oper, Henry James’ Novelle „The Turn of the Screw“, ist eine gewiss schaurige, aber eben doch recht stereotype Gespenstergeschichte. In der Mitte der Erzählung erklärt die Heroine, angesichts ihrer Heimsuchungen längst den Verstand verloren haben zu müssen, stattdessen aber alles umso klarer zu erkennen. Tatsächlich beschreibt sie ihre Erscheinungen mit abgeklärter Schärfe. Die asthmatische Beklemmung, die diese Geschichte dennoch durchdringt, beruht auf der kommunikativen Blockade, unter der die Gouvernante und die eigentlichen Opfer der gespenstischen Übergriffe, zwei Kinder, leiden. Der Bericht schwankt zwischen blankem Horror und psychopathologischem Befund.

In der Oper aber, es ist ein alter Hut, ist alles anders. Hier heben bekanntlich noch vom medizinischen Tod Ereilte zu niederschmetternden Arien an, anstatt, wie es sich gehört, zu sterben. Und auch das Libretto der 1954 entstandenen Oper „The Turn of the Screw“ kann dem dramaturgischen Zwang, den an sich stummen Horror zum Gesang freizugeben, nicht ausweichen. Das Textbuch der von Benjamin Britten komponierten Oper, die – anders als sein „Billy Budd“ und „Peter Grimes“ zu den eher selten gespielten Bühnenwerken gehört – ist schlichtweg schwach. Jede nur angedeutete Zweideutigkeit ist ausradiert. Die Figuren der Kinder werden von der ersten Szene an als umtriebiger Humus des Bösen entlarvt und somit ihrer engelhaften Unfasslichkeit beraubt. Die Gestalt der Gouvernante verliert als handlungstragende Figur an Gewicht und streunt stattdessen als unmotiviert und besorgt entgeisterte Hysterikerin über die Bühne. Hinzu kommen ungezählte „Guten Tag“-Banalitäten, die den Hörer strapazieren.

Ein schlechtes Libretto ist noch vielen Komponisten passiert und hat noch keinen daran gehindert, ein gutes Stück darauf zu schreiben. Aber auch Britten hat offenbar keinen guten Tag erwischt. Als einer der seltenen integren Außenseiter der neuen Musik hat Britten zeitlebens eine bedächtige Moderne vertreten, die auf Tonalität und metrisches Ebenmaß nicht um jeden Preis verzichtete – eine Haltung, die gerade im Bereich des Musiktheaters zu einem ganzen Katalog überzeugender Klanggesten geführt hat.

Aber dass Britten die ursprünglich hybriden Kindercharaktere mit musikalischer Naivität tränkt, führt wiederholt zu biederen Plattitüden. Und auch die inneren Monologe der Gouvernante, die das Libretto dann doch bereithält, werden nicht als eigener musikalischer Raum genutzt, sondern verlieren sich dummerweise in stumpfer Entgeisterung. Nur selten lässt Britten seine dramatische Kraft aufblitzen. In einem zum orchestralen Aufschrei verdichteten Höhepunkt am Schluss des ersten Aktes etwa, der die Hilflosigkeit der Akteure aufs Publikum projiziert. In bloß von Schlagwerk begleiteten, rezitativischen Passagen, in denen Verstörung zum Klang gerinnt. Oder die wohl schönste, weil opernhafteste Szene der Oper: Der besessene Junge, Miles, spielt Klavier. Das Tasteninstrument tritt zunächst in modernistischer Pseudoklassik aus dem Ensemble heraus. Während sich das Geschehen um seine Schwester Flora zuspitzt, wird das Klavier von Britten wieder und schleichend in das Ensemble eingepasst und damit zum musikalischen Träger der Handlung. Womit der auf der Bühne am Klavier fantasierende Junge das gespenstische Bangen als – und in – Musik lenkt.

„Guter Stoff, schlechtes Textbuch, mäßiges Stück“, müsste das Urteil lauten, wäre da nicht Harry Kupfers Regiearbeit. Hier werden die dunkle Ahnung und die Unsicherheit, die den Leser der Novelle befällt, ins Bild gesetzt. Hinter den mit Schleiern bespannten und in sich verschachtelten Würfeln wird der Blick getrübt, verlieren die Gestalten an Kontur. Auf der wild rotierenden Bühne treten die Sänger auf der Stelle oder wühlen sich durch ein Meer aus Türen, bis das Publikum ebenso wie die Darsteller schließlich die Orientierung verliert. Die minutiös gearbeitete Lichtregie hilft, Vordergrund und Hintergrund gegeneinander zu vertauschen.

Das wäre technizistisches Geplänkel, wenn nicht jede Bewegung, jedes Detail dieser Inszenierung am Stoff selbst sich entzündete, wenn die optische Ausführung nicht das leisten würde, was Libretto und Partitur versäumt haben: nämlich diese Geschichte als eine Studie über das Zwitterhafte des Blickes und die Gewissheit, mit der der Wahn sich mitteilt, zu begreifen.

„The Turn of the Screw“ ist Kupfers letzte Arbeit als hauptamtlicher Regisseur der Komischen Oper. Am Sonntag ist in Berlin damit eines der seltenen ungetrübten Kapitel der Operngeschichte zu Ende gegangen.

BJÖRN GOTTSTEIN

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