: Zwei Gleise, ein Gedanke
Fröhlich klimpert das Piano: Jonas Poppe und Sebastian Dassé kommen von der Gitarrenmusik. Dann haben sie eines Tages im Studio mit Keyboards experimentiert. Seitdem werden sie mit ihrem Elektropop-Projekt Kissogram immer erfolgreicher
von KATJA HANKE
In einem Video auf Viva sieht man junge Leute, die in einer großen, hellen Wohnung abhängen. Alle sind ausgelassen und haben gute Laune. Sie sind jung, schön und hip. Ab und zu singt einer von ihnen mit bedrohlicher Stimme „If I had known this before“ in die Kamera und verleiht der ausgelassenen Fröhlichkeit etwas Düsteres.
Dieses Lied kennt man bereits aus Clubs, jetzt läuft es im Radio und auf Viva. Eines der Retro-Electro-Stücke, die momentan in den Clubs angesagt sind. Es ist von Kissogram vs. Woody, erfährt man am Ende des Videos. Woody, ja klar, Love Parade und so, doch wer sind Kissogram? Die neuen Helden des Retro-Pop? Könnte man denken.
Jonas Poppe und Sebastian Dassé sind Kissogram und machen elektronische Popmusik. Poppe am Mikrofon und Dassé an den Keyboards. Wie im Video sehen sie überhaupt nicht aus. Jonas Poppe zum Beispiel trägt eine weiße Jeans und ein kariertes Hemd, das ordentlich in die Hose gesteckt ist. Bei einem Kaffee erzählt er, wie Kissogram in die Charts und überhaupt zu Viva kamen.
Eigentlich spielte Jonas Poppe immer Gitarrenmusik, schon als Jugendlicher in verschiedenen Bands. Mit einer davon, den Sitcom Warriors, begann er intensiv Musik zu machen: Indie-Rock. Bei denen ist er immer noch, Sebastian Dassé auch. Als die Band für Aufnahmen zum ersten Mal ein Keyboard benutzte, entstand sein Interesse für Elektronik. Poppe begann, nebenbei mit dem Keyboard Musik zu machen.
Zu dieser Zeit war er oft in der Galerie Berlin-Tokyo, wie andere Künstler auch, die sich auf unterschiedliche Weise mit elektronischer Musik beschäftigten. Hier entstand vor ungefähr zwei Jahren die Idee, mit Sebastian Dassé ein zweites Projekt zu gründen und nicht Techno oder House zu spielen, sondern elektronischen Pop. „Seitdem fahren wir sozusagen auf zwei Gleisen“, sagt Poppe, „wir bewegen uns in zwei unterschiedlichen Szenen.“ Jonas Poppe erzählt, dass er Musik aus allen Epochen hört: 60er Jahre, Elektronik, Rock. „Einen Text oder eine Songidee kann man auf unterschiedliche Art und Weise umsetzen: als Punk, Rock, Pop oder als minimalen Techno. Wenn die Idee gut ist, wird das Stück auch gut sein“ – denn darum gehe es: gute, durchdachte Lieder.
Bei Auftritten in der Maria am Ostbahnhof, im Roten Salon und anderswo ist das Publikum von ihrer abwechslungsreichen Musik begeistert. Da klimpert in einem fröhlich-naiv klingenden Lied zwischen den Electro-Clicks das Piano, und lustige Stimmen singen im Refrain „Modern Girls, Modern Girls“. Ein Lied wie „If I should have known“ dagegen ist mit seiner New-Wave-Ästhetik düster angelegt und erinnert stark an die 80er.
Letzteres fand auch der ehemalige Strictly-Rhythm-PR-Mann Dittmar Frohmann. Der stellte vor zwei Jahren mit Jim Avignon und Atilano Gonzales eine 80er-Jahre-Retro-Compilation zusammen. Jim Avignon kannte Kissogram aus dem Berlin-Tokyo-Umfeld und spielte Frohmann ein Demo vor. Das Lied kam auf die Compilation, und Frohmann mochte das Stück so sehr, dass er es auf seinem Label Blaou veröffentlichte. Den obligatorischen B-Seiten-Remix steuerte sein alter Bekannter Woody bei. Der verwandelte das Original durch funky Beats und Echo-Flächen in einen Dancefloor-Knaller.
Dass sich dieser Mix auch einem breiten Publikum verkaufen würde, erkannten die Leute des Technolabels Low Spirit. Blaou verkaufte eine Lizenz, so landeten Kissogram bei Westbam und auf dem Love-Parade-Sampler. Anschließend wurde ein Video gedreht, und seit Januar rollt die Hitmaschine mit einer CD-Single. Jetzt fahren Kissogram also auf drei Gleisen und bewegen sich wieder in einer anderen Szene. Dabei ist Jonas Poppe, erzählt er, im Grunde ein Gegner der „Fun Generation“. Auch, wenn das gar nicht richtig zur hedonistischen Partykultur passen will. Die Low-Spirit-Veröffentlichung sieht er als eine Chance, die er sonst nicht haben würde. Außerdem will er gern Leute erreichen. Und nur für ein einziges, bestimmtes Publikum will er auch nicht spielen.
Momentan arbeiten beide Bands an Alben, die Sitcom Warriors und Kissogram. Letzteres nimmt mittlerweile den größten Teil seiner Zeit in Anspruch. Das Interesse an ihnen ist groß, sie treten viel auf, und wahrscheinlich wird es noch eine weitere Single mit Woody geben. Dann müsse das Original aber „fetter produziert sein“, damit es nicht hinter dem Remix zurückbleibe. Im September soll das Album erscheinen, nicht bei Low Spirit, sondern unabhängig von einer Szene.
Das Video, das war übrigens Westbams Idee, er hatte die Leute eingeladen und auch Regie geführt. Regie führen, das würde Jonas Poppe beim nächsten Video gern selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen