: Der Neustädter Appell
Hört bitte auf mit der Gewalt! Offener Brief an die Gläubischen dieser Welt
Angesichts der krisenhaften Entwicklung im Hindukusch, in Nahost, an der indisch-pakistanischen Grenze und auf der Erde allgemein möchten wir, die UnterzeichnerInnen des Neustädter Appells, die Gläubischen aller Länder ansprechen und zum Innehalten aufrufen.
Erstens. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Wenn Ihr Euch in die Luft gesprengt habt, werden keine himmlischen Jungfrauen angesegelt kommen und Euch ums Beilager bitten. Im Gegenteil, Ihr werdet in Vergessenheit geraten, während Eure Frauen, Töchter, Enkeltöchter, Mütter, Großmütter und Urgroßmütter aufatmen, auswandern und sich womöglich auf die Besetzungscouch der Regisseure westlicher Fernsehseifenopern legen werden.
Zweitens. Ihr lieben Hindus und Moslems in Pakistan und Indien, hört bitte auf mit der Gewalt. Es ist wirklich nicht mehr mit anzusehen, wie Ihr aufeinander losgeht. Warum dieser Hass? Viel schöner als das öffentliche Grollen und Zürnen ist es doch, einfach mal zu Hause zu bleiben, lecker Tee zu trinken und dabei gemütlich ein gutes Buch zu lesen, zum Beispiel „Hundstage“ von Walter Kempowski, einen Roman, den Ihr auf Eurem Subkontinent vielleicht über Fernleihe bekommen könnt.
Drittens. Liebe baskische und korsische Nationalisten! Wenn die Menschen außerhalb des Baskenlands und Korsikas in den Fernsehnachrichten das tausendste von Euch zerbombte Auto erblicken, denken Sie ungefähr folgendes: „Uäärrh, hoffentlich kommen bald die Lottozahlen.“ Könnt Ihr für Eure Sache nicht freundlicher werben? Denkt mal darüber nach.
Viertens. Für Dich, lieber Ussama Bin Laden, haben wir eine eigene Denksportaufgabe vorbereitet: Stell Dir vor, es ist Krieg, und Du hast ihn gewonnen. Alle gehorchen Dir, und es gibt niemanden mehr, den Du ermorden lassen musst. Was tust Du dann? Na? Das weißt Du auch nicht so genau, nicht wahr? Weil Du nichts anderes kannst und gelernt hast als Marschbefehle auszustellen und Todesurteile zu fällen. Du wärst auf einmal arbeitslos, müsstest Stütze beantragen und alles das. Also sieh es doch einmal von der praktischen Seite, überwinde Dich und lass uns Nichtgläubische leben und unbehelligt unser „Ding“ machen. Wir brauchen Dich nicht, aber Du brauchst uns.
Fünftens. Ihr lieben Kassiererinnen, Ihr habt es immer noch nicht begriffen: Zählt uns Kunden bitte beim Herausgeben des Wechselgelds zuerst die Münzen und danach die Scheine in die Hand und legt nicht das Kleingeld oben auf die Scheine, so dass wir immer erst superumständlich herumhantieren müssen. Das kann doch nicht so schwer zu merken sein. Erst die Münzen, dann die Scheine. Umso schneller seid Ihr uns los. Das könnt Ihr uns glauben.
Sechstens. Und das geht jetzt speziell an Herrn Dietmar Meister von der Cosmos-Lebensversicherung in 66121 Saarbrücken. Lieber Herr Meister, wer bei Ihnen versichert ist, wird fortlaufend mit Bettelbriefen bepestet, in denen es unter anderem heißt: „Damit Sie diese Vorteile optimal ausschöpfen, hat CosmosDirekt jetzt RentiTop security entwickelt.“ Denn so, sehr geehrter Herr Meister, geht es nun absolut nicht, auch wenn Sie aus versicherungsreligiösen Gründen daran glauben sollten. Die Wortschöpfung „RentiTop security“ ist so abstoßend, dass Sie sich schämen sollten, auch und gerade vor den Kräften, die den Untergang des Abendlandes schon auf ganz andere Weise herbeizuführen versucht haben.
Siebentens. Wo steckt Ihr eigentlich, Ihr evangelischen und katholischen Militärseelsorger der Bundeswehr? Gebt doch bitte mal ein Statement darüber ab, wie die in Afghanistan stationierten Krieger aus Deutschland mit ihrem Sexualtrieb umgehen sollen. Wo und wie verschaffen sich diese heimatfern untergebrachten Samenschleudern Erleichterung? Und was sagt die Kirche dazu?
Vielen Dank so weit. Ihr könnt jetzt alle weitermachen.
Erstunterzeichner: Gerhard Henschel, Achim Greser, Heribert Lenz, Michael Ringel, Corinna Stegemann, Horst Tomayer und Rayk Wieland.
Weitere Unterzeichner: Wolfgang Abendroth, Soziologe, Marburg (angefragt); Josef Boven, Gebrauchtwagenhändler, Hamburg; Bernd Eilert, Bürgerrechtler, Oldenburg; Eugen Egner, Künstler, Wuppertal; Robert Gernhardt, Grafiker, Frankfurt/M.; Volker Gerdelmann, Gärtner, Mönchengladbach; Gunnar Kwisinski, Student, Bremen; Ludwig Lang, Lebensreformer, Regenstauf; Ralf Lorenzen, Entertainer, Hamburg; Patricia Riekel, Powerfrau, Hamburg; Lutz Schulenburg, Verleger, Hamburg; Wenzel Storch, Regisseur, Hildesheim; Matthias Thieme, Kioskbetreiber, Berlin; Abr Zmegac, Philosoph, Antwerpen; Hans-Ulrich Zytze, Schlusslicht, Zürich.
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