: „Es ist die Musik der Zukunft“
Im Namen des Afrobeat: Ein Gespräch mit Femi Kuti über das Erbe seines Vaters und dessen Wiederentdeckung im Westen, afrikanisches Selbstbewusstsein und die Plagen des Kontinents
Interview JAY RUTLEDGE
taz: Herr Kuti, seit dem Tod Ihres Vaters 1997 ist im Westen das Interesse an seiner Musik, dem Afrobeat, neu entflammt. Angefacht wurde es von Club-DJs, die alte Fela-Kuti-Tracks für den Dancefloor neu entdeckten. Hat Sie das überrascht?
Femi Kuti: Nein, ich habe das immer erwartet. Miles Davis hat schon vor zwölf Jahren in seiner Autobiografie geschrieben, Afrobeat sei die Musik der Zukunft. Mir macht es nichts aus, über den Umweg von Club-Remixen ein europäisches Publikum zu erreichen, solange es das Interesse an den Ursprüngen dieser Musik befördert. Ich glaube aber, dass das Publikum in Europa das Original vorziehen wird, wann immer es die Chance hat, es live zu erleben. Und es ist sehr wichtig, die Kultur hinter der Musik zu verstehen.
Welche Bedeutung hat der Afrobeat in Nigeria heute?
In Nigeria würden viele Leute es bevorzugen, wenn es ganz bei dem bliebe, was mein Vater getan hat. Anfangs war die Presse deswegen gegen mich, sie schrieb: Niemand ist größer als mein Vater. Aber ich möchte gerne einen Schritt weiter gehen. Jeder soll sich doch seine eigene Interpretation wählen können.
War es schwer für Sie, als Sohn von Fela Kuti aufzuwachsen? Es heißt, er habe Sie nicht sehr unterstützt in Ihren Ambitionen.
Als sein Sohn aufzuwachsen, war hart. Das kann niemand verstehen. Manchmal rede ich darüber, manchmal nicht.
Sie scheinen inzwischen sehr in seine Fußstapfen zu treten.
Ich glaube, ich habe genug Selbstbewusstsein, um in meine eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Sehen Sie, ich liebe mein Saxofon, so wie ich Sex liebe. Aber ich glaube nicht, dass ich mich durch Frauen vom Üben abhalten lassen würde. So gesehen, sind mein Vater und ich schon zwei unterschiedliche Personen.
Ihr Vater lebte sehr exzessiv …
Mein Vater hatte 27 Frauen, und er sprach offen über Sex. Früher wurde in afrikanischen Heimen freimütig über Sex gesprochen. Es ist die Religion, die unser Denken darüber verzerrt hat, und Nigeria ist sehr religiös: Die Christen und Muslime sind sehr stark, also spricht niemand in Nigeria offen über Sex.
Mein Vater war ein überzeugter Afrikaner, und er ging sehr weit darin, seine Ansichten kundzutun. Ich glaube, mit all den Schlägen, die er ganz wörtlich einstecken musste, konnte er nicht anders, als sich dem Exzess hinzugeben. Marihuana lindert Schmerzen. Hätte er nicht diese Mengen Marihuana geraucht, hätte er diese Schläge nicht überstanden. Jeder Knochen in seinem Körper war gebrochen.
Im Vergleich zu ihm wirken Sie wie ein Ausbund an Ruhe und Selbstdisziplin …
Ich habe eine Frau, und bin wirklich zufrieden. Wir haben einen Sohn, und ich liebe ihn sehr, ich möchte keinen weiteren. Meine afrikanischen Brüder fragen mich, wie kannst du nur einen Sohn haben wollen? Du solltest mehrere Kinder haben, das ist unsere Kultur, unsere Zukunft! Aber ein Kind ist mir genug. Ich habe meinen eigenen Kopf und entscheide für mich selbst. Ich mag meine Kultur, und ich nehme das Beste daraus. Aber wenn mir etwas aus einer anderen Kultur besser gefällt, dann nehme ich das. Mein Vater, das war sein Leben, ich kritisiere das nicht. Er rauchte wie ein Schlot und hatte viele Frauen – ich bin sicher, wenn es einen Himmel gibt, dann tanzt er dort, denn er lebte das Leben von 500 Männern. Jeder afrikanische Mann würde alles geben, um so ein Leben zu führen, gäbe es Aids nicht (lacht).
Hat der Tod Ihres Vaters Sie motiviert, dem Kampf gegen Aids ihre Stimme zu geben?
Mein Vater hat mich in vielerlei Hinsicht motiviert, nicht nur im Kampf gegen Aids. Und Aids ist nur ein Teil des afrikanischen Problems. Das Aids-Problem kam Mitte der 80er, Anfang der 90er auf. In Europa gab es dazu viel Aufklärung im Fernsehen und in der Presse. Diese Art der Aufklärung hätte auch in Afrika stattfinden müssen, aber es wurde versäumt. Niemand hat das zunächst ernst genommen. Erst spät, als die Krankheit schon verheerende Kreise gezogen hatte, wurden etwa in Nigeria Maßnahmen ergriffen.
Dafür haben Sie auch den Song „Stop Aids“ geschrieben?
Wenn ich Präsident wäre, stünde der Kampf gegen Aids an erster Stelle meiner Agenda. Ich würde Institutionen gründen, um die traditionelle afrikanische Medizin erforschen und daraus Medikamente entwickeln zu lassen – nicht nur gegen Aids, sondern auch gegen andere Krankheiten wie den Krebs. Und ich würde Europa und die USA bitten, uns dabei zu unterstützen, statt Millionen auszugeben, um auf den Mars zu fliegen. Wenn diese Staaten ehrlich wären, würden solche Projekte gar nicht existieren. Wenn sie wirklich besorgt wären um die Menschen dieser Welt, dann würden sie nicht ihr Geld für diese Dinge verschwenden, wenn es auf der Erde noch so viele Probleme zu lösen gibt.
Was ist eigentlich aus den 27 Frauen Ihres Vaters geworden?
Er hat sich 1986 von ihnen scheiden lassen. Es waren ja immer viele Frauen um ihn – manche von ihnen sind immer noch da, andere sind gegangen. Ich sehe sie aber kaum, da ich ohnehin meistens auf Tour bin. Einige von ihnen sind seit dem Tod meines Vaters mir gegenüber auch nicht mehr sehr freundlich eingestellt. Sie hatten gehofft, sich etwas von seiner Hinterlassenschaft unter den Nagel reißen zu können, und waren mehr daran interessiert, sein Geld auszugeben, als daran, sein Erbe zu bewahren. Wir aber haben das nicht zugelassen. Der Bruder meines Vaters hat sich um die Angelegenheit gekümmert.
Sind von diesen Frauen auch welche an Aids gestorben?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es ist komisch, aber einmal habe ich eine Frau getroffen, die vor langer Zeit einmal bei uns gewesen war, und ich glaube, sie hatte die Krankheit, weil sich bei ihr Symptome gezeigt hatten. Sie hatte das Haus verlassen, bevor mein Vater starb. Als ich sie dann einige Zeit später zufällig einmal beim Vorbeifahren auf der Straße wieder erkannte, sah sie allerdings sehr gesund aus. Dabei weiß ich, dass sie nicht im Krankenhaus war, sondern in ihr Dorf zurückgegangen war!
Ich war versucht, anzuhalten und sie zu fragen, wo sie gewesen sei, ob sie die Krankheit gehabt und was sie genommen habe. Vielleicht hatte man ihr im Dorf Kräuter gegeben, die sie geheilt hatten? Aber dann war es mir doch zu peinlich, sie zu fragen, ob sie Aids hatte.
Wie sehen Sie die Entwicklung in Nigeria seit dem Ende der Militärdiktatur 1999?
Es ist immer noch eine Militärregierung an der Macht, auch wenn es jetzt Militärs in Zivilkleidung sind, die im Senat und im Parlament sitzen. Sie haben die Rückendeckung des Westens bekommen, in Zivil zurück an die Macht zu kommen. So funktioniert die Demokratie aber nicht im Westen. Warum also erlaubt man es dann in Afrika?
Wir leben immer noch in der Ära der Sklaverei. Wir sind immer noch im Prozess der Demokratisierung, weil wir das übernehmen, was der Westen von uns erwartet. Aber wir müssen selbst bestimmen, was die beste Regierungsform ist für diese Menschen, die einst eine Regierungsform besaßen, die funktionierte.
Früher gab es in Afrika Ältestenräte: Jeder Älteste repräsentierte ein Dorf, ein Volk, und bevor eine Entscheidung getroffen wurde, mussten alle im Ältestenrat zustimmen. Selbst wenn nur eine Person widersprach, hieß es: Lass uns seinen Argumenten lauschen, vielleicht hat er ja Recht.
Halten Sie das für eine Lösung der heutigen Probleme?
Nein, aber wir müssen zu unserem Erbe zurückkehren. Wir lesen immer noch die Bücher aus der Kolonialzeit.
Sie dagegen plädieren in einem Ihrer Stücke, die westlichen Namen abzulegen, und Sie tragen auch oft traditionelle nigerianische Gewänder …
Ja. Alle wollen Krawatte und Anzug tragen und ziehen sich an, als ob es Winter wäre, und dabei schwitzen sie. Aber wenn du dich nicht so anziehst, bis du niemand. Dabei sind es nicht die Kleider, die Leute machen – es ist der Mensch, der sich die Kleidung macht.
Heute Abend treten Sie in Berlin auf. Als Sie das letzte Mal hier gespielt haben, soll Sie ein Musiker angesprochen haben, der zu jener legendären Besetzung gehört haben will, die 1978 mit Fela Kuti zum Jazzfest in die Stadt kam und sich anschließend fast komplett hier absetzte. Er soll Sie gefragt haben, ob er nun in Ihrer Band mitspielen könne …
Wie konnte er nur so eine Frage stellen! Ich war damals 15, als ich mit meinem Vater zum Jazzfestival nach Berlin kam. Er hatte Stadien gefüllt, wo immer er hingekommen war, und alle waren verrückt nach ihm. Doch als er 1978 mit dieser Band nach Berlin kam, begannen die Musiker, absurde Forderungen zu stellen: Sie wollten im Kempinski, einem Fünfsternehotel, absteigen, und sie leerten dort dreimal am Tag die Bar! Mein Vater hat 100.000 Dollar deswegen verschwendet, am Ende schuldete er dem Promoter sogar noch Geld.
Die Musiker bekamen damals 45 Dollar Gage pro Tag, das war nicht nur damals eine Menge Geld. Und sie sagten, sie würden nicht auftreten, wenn mein Vater ihnen nicht ihr Honorar geben würde, also musste er es ihnen geben. Und da hat dieser Typ noch den Nerv, zu mir zu kommen?! Aber ich kenne ihn, ich habe ihn bei vielen Gelegenheiten getroffen, er ist eine Nervensäge. Wenn er seit 1978 hier ist und keinen Fortschritt gemacht hat, sollte er besser wieder zurück nach Hause gehen!
Ist Ihnen das im Laufe ihrer nun schon 16-jährigen Karriere als Solokünstler auch schon passiert, dass Ihnen die Musiker weglaufen?
Ja, schon oft. Aber ich kann es auch verstehen, wenn Afrikaner nicht zurückgehen wollen. Wenn ich lange auf Tour bin, habe ich manchmal regelrechten Horror, wieder nach Nigeria zurückzukehren. Denn nichts funktioniert dort, und man weiß nie, was als Nächstes passieren wird.
Einmal, bevor ich auf Tour ging, sind fünf Banditen in meine Wohnung eingedrungen, sie wollten mich berauben. Ich habe ihnen gesagt, dass ich kein Geld im Haus habe, sondern auf einer europäischen Bank. Da haben sie gedroht, mich umzubringen. Also habe ich ihnen einen langen Vortrag gehalten: Kennt ihr meinen Vater? Wisst ihr, dass er für Leute wie euch gekämpft hat? Und wisst ihr auch, dass ich als sein Sohn nicht in diesem Land sein müsste? Aber ich bin hier aus einem Grund! Und Leute wie ihr solltet dazu da sein, mich in diesem Kampf zu unterstützen, statt mich auszurauben! Sie haben natürlich geschrien: Wir wollen das nicht hören! Gib uns dein Geld! Aber ich konnte nur sagen: Es ist in Europa!
Bewaffnete Raubüberfälle sind bei uns auf dem höchsten Stand seit der Unabhängigkeit – junge Kerle zwischen 15 und 18, die dich umbringen, wenn du kein Geld hast. Die Polizei funktioniert nicht, die Lehrer werden nicht bezahlt, und das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei 30 Dollar im Monat. Wie kann man davon leben?
Femi Kuti spielt heute, 20 h, in Berlin
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