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Die Arroganz der Macht

betr.: „Kohl bleibt unter Verschluss“, taz vom 9. 3. 02

„Kanzler der Einheit“, so sieht sich Helmut Kohl am liebsten. Als „Kanzler der Spaltung“ dürfte er spätestens seit vergangenem Freitag gelten.

Mit seiner erfolgreichen Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht degradiert er die Ostdeutschen zu Bundesbürgern zweiter Klasse. Ihre Akten wurden unter der Prämisse der historischen Aufarbeitung der SED-Diktatur im Regelfall freigegeben – persönliche Schicksale dabei nicht ausgeklammert! Kaum geht es an die Offenlegung von Stasiakten westdeutscher Persönlichkeiten, ist das bislang praktizierte System plötzlich nicht mehr haltbar. Viel eindeutiger kann man nicht mit zweierlei Maß messen. Der Weg hin zur Vollendung der inneren Einheit ist ein Stück länger geworden. RASMUS PH. HELT, Potsdam

Rechtswidrig und auch Menschen verachtend sind sie gesammelt worden, die Stasiunterlagen. Inhaltlich zutreffend dürften sie allemal sein. Kein Geheimdienst würde bewusst falsche Daten sammeln. Warum also wehrt sich Helmut Kohl so vehement gegen die Veröffentlichung seiner Unterlagen? Bereits nach bisheriger Rechtsauffassung würde dies nur den öffentlichen Teil der Person des ehemaligen Bundeskanzlers betreffen. Was also anderes als seine Untadeligkeit könnten diese Daten aufdecken? Außer …

THOMAS HARTMANN, Kempten

Die vom Bundesverwaltungsgericht erlassene Lex Kohl hat nicht nur die bisherige Praxis der Stasiunterlagen-Behörde für rechtswidrig erklärt, sondern hat den ostdeutschen BürgerInnen auch gezeigt, dass Ostdeutsche außerhalb des Grundgesetzes stehen. Dabei gebe es doch sicher so manches politische Fehlverhalten höchster westdeutscher Repräsentanten aufzuklären, die – wie Herr Kohl – nicht nur Spender von schmutzigem Geld zu verschweigen suchen. […] GERHARD ROSENBERG, Berlin

Als „Einheitskanzler“ unterzeichnete Kohl die gesetzliche Regelung der Offenlegung von Akten selbst. Damals hatte er über sich noch keine Akteneinsicht genommen und das Ausmaß der Stasischnüffelei unterschätzt […]

Die einmütig-seltsame Allianz Schily-Kohl, die Stasiakten unter Verschluss halten zu wollen, ist merkwürdig. Was haben diese Herren zu verbergen? […] Etwa existierende Telefonate über die CDU-Spendenpraxis sollten die Öffentlichkeit sehr wohl interessen, zumal Kohl als Täter im illegalen Parteispendenverfahren gilt. Vielleicht kämen die Namen der Spender vollständig ans Tageslicht.

Die Aufklärung von 40 Jahren deutsch-deutscher Geschichte wird nun unterdrückt, da Kohl eingriff! Solange es um ostdeutsche Biografien ging, war das Gesetz gut. […] Unter 16 Jahren Kohl-Regentschaft ließ sich damit gut Stimmung gegen linke Politik machen!

Die Entscheidung der Richter, natürlich immer im Namen des Volkes gesprochen, sollte eines nicht vergessen machen: Die Stasizentrale wurde damals vom Volk gestürmt und besetzt, um Spitzelei zu beenden und Aufklärung zu beginnen sowie die Arroganz der Macht zu beenden. Heute begegnet sie uns nur im anderen Gewand. Ein Stück Freiheit wurde am 8. März 2002 wieder abbestellt.

SIEGMAR LORENZ, Straubing

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