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Anschnallen für den letzten Flug

Wave Goodbye: Das WMF schließt seine Pforten. Für die einen endet damit der große Berlin-Mitte-Schwindel, für die anderen der beste Club Europas

von TOBIAS RAPP

Das Nachtleben ist eine flüchtige Angelegenheit. Niemand ändert seinen Geschmack so schnell wie der Ausgeher. Das ist überall auf der Welt so, aber in deren Zentrum, in Berlin-Mitte, ganz besonders. Denn Ausgehen heißt, auf der Suche zu sein. Und da man das, wonach man sucht, das bessere Leben, das große undefinierte Andere, niemals finden wird, sich aber gleichwohl die Illusion nicht nehmen lassen möchte, irgendwo da draußen verberge es sich vielleicht doch, deshalb hält man es nie lange an einem Ort aus.

Das WMF, dessen fünfte Location in der Ziegelstraße heute ihre Pforten schließt, schien immer einer der Orte zu sein, für den dieses Gesetz der Nacht nicht zu gelten schien. Zum einen, weil es sich durch seine Ortswechsel ohnehin der Festlegung entzog. Zum anderen, weil es aber, besonders in seiner vierten Örtlichkeit und auch in seiner fünften, einen ganz besonderen Sog entfalten konnte: Was schien hier nicht alles zusammenzugehören: Kunst und Politik, Feiern und Kontakte knüpfen, der Glamor der New Economy und der ehrliche Schweiß der Tanzfläche, Visual Art und einfach nur Herumstehen.

Doch nun lädt das WMF zum „Last Exit“, und anstelle wilder Spekulationen, die durch die Stadt wabern, wann und wo es denn wiedereröffnen werde, überwiegt eine allgemeine Verständigung: Wie froh man ist, den Laden endlich los zu sein. Nicht ohne Häme wird das Ende des WMF in der Süddeutschen Zeitung gar zum Ende des Traums „vom guten Leben in einer Art drittem Raum zwischen Mainstream und Political Correctness“ erklärt. Endlich brauche sich niemand mehr etwas vorzumachen, der große Berlin-Mitte-Schwindel, man könne gleichzeitig links sein, trotzdem gut angezogen und außerdem noch mit dem Versprechen der New Economy kokettieren – all das habe nun ein Ende.

Tatsächlich beruhte ein nicht unwesentlicher Teil des Charmes, den das WMF in den letzten Jahren ausstrahlte, darauf, dass sich alle gegenseitig etwas vormachten. Stillschweigend hatte man sich darauf geeinigt, dies sei der beste Club Europas, und hier finde zusammen, was an all den anderen langweiligen Orten – meist denen, woher man kam – nicht zusammengehöre, was aber eigentlich verbunden werden müsse. Kurz: Das WMF stand für das große Versprechen der Gegenkultur. Anders sein, besser wissen und all das verbunden mit der Option, damit auch noch groß rauszukommen – freilich nur, wenn man will, und dann zu den eigenen Bedingungen.

Dabei spielten alle mit, insbesondere das Publikum. Wenn das WMF in den vergangenen Monaten ein Problem hatte, dann war es weniger das, dass das große Versprechen sich als Lüge herausgestellt hätte. Das Problem war eher, dass das Publikum vor lauter Abfeiern der eigenen Wichtigkeit vergessen hatte, wie man anständig feiert.

Die säuerliche Vorhersage, nun werde endgültig zur Tagesordnung übergegangen, nun sei der Spaß vorbei, jetzt werde die Spreu vom Weizen getrennt, nun seien Loser wieder Loser, und alle anderen könnten anfangen, sich den harten Realitäten des Marktes zu stellen, ist genauso großer Unfug wie die ewige Mär vom Clubsterben. Solange Leute nach Berlin kommen, um sich zu amüsieren, so lange werden sie das tun. So lange wird es Clubs geben. Und solange diese Leute versuchen werden, Dinge zu kombinieren, die da, wo sie herkommen, nicht kombiniert werden, solange werden sie es tun. Und solange wird es Clubs wie das WMF geben.

Mal schauen, was das nächste WMF so an theoretischem Mehrwert abwirft. Womöglich kann man dort sogar wieder tanzen: wenn all diejenigen, die doch nur ihre eigene Wichtigkeit zu Markte tragen wollen, wieder rechtzeitig ins Bett gehen, um dafür genug Kraft zu haben.

23.00 „Last Exit“, WMF, Ziegelstr. 22–23, mit Ellen Allien, Mitja Prinz, Bleed, Sven VT u. a.

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