: ein nasolabialbereich nimmt seinen hut
Wenn der Chef geht, schließen die Mitarbeiter sich zu einem Chor zusammen und singen. Wenn Dieter Stolte geht, singen gleich drei Chöre: Der Chor der Chefredaktion, der Chor der einfachen Mitarbeiter und der Chor des Kinderkanals und sogar noch Udo Jürgens brachten ihm am Mittwoch ein Ständchen, und der Lerchenberg war mit Dankesplakaten geschmückt. Eine schöne Idee ist es auch, bei solchen Anlässen ein Filmchen vorzuführen, das die Mitarbeiter über den scheidenden Chef gedreht haben. Da das ZDF ein transparentes Unternehmen ist, ließ es seine Gebührenzahler daran teilhaben (Mi., 22.15 Uhr). Sehen wollten das Porträt eine Million Menschen. Was nicht viel ist, aber viel, wenn man bedenkt: Wer kennt diesen Mann eigentlich? Zugegeben, manche haben seinen Namen schon mal gehört, so wie der „Tagesschau“-Sprecher, der am vergangenen Samstag vermeldete, dass der ZDF-Fernsehrat nun einen Nachfolger gefunden habe für „Herrn Stolpe“. Und sicherlich kennen auch viele das gebräunte Knopfaugengesicht mit dem großflächigen Nasolabialbereich, wie die Hautpartie zwischen Nasenspitze und Oberlippe auf Medizinisch heißt. Aber richtig kennen kann man diesen Mann erst seit diesem Film, dem Gero von Boehm den Titel „Der Astronaut“ gab. Weil der Abschied vom ZDF ein großer Schritt für Stolte ist, aber ein kleiner für die Menschheit? Weil Stolte und sein ZDF sich im modernen Fernsehgeschäft so unbeholfen bewegen wie ein Raumfahrer in der Schwerelosigkeit? Nein, weil Stolte gerne wandert und sein Stamm-Bergführer im Film sagt, Stolte komme ihm auf dem Weg nach oben stets vor wie ein Astronaut – wegen seiner „Genauigkeit“, seiner „Disziplin“, weil er „noch nie die Ruhe verloren hat, wenn man ihn irgendwo angebunden hat“ (?). Vielleicht haben wir den Schweizer auch einfach falsch verstanden. Jedenfalls wissen wir jetzt: Unter Stolte ist eine „Galerie deutscher TV-Legenden“ entstanden: „Wetten, dass …?“ (natürlich), „Traumschiff“ (okay), „Die Affäre Semmeling“ (??). Stolte ist ja auch ein Arbeitstier. Deswegen zeigte der Film kaum was Privates. Keinen Stolte im Jogginganzug bei der Gartenarbeit oder auch außerhalb des Nasolabialbereichs unrasiert am Frühstückstisch. Näher gekommen sind wir dem Menschen dennoch: „Er hätte ein bisschen mehr Humor haben können“ (Wolfgang „Schwarzwaldklinik“ Rademann). Er wurde „oft unterschätzt“ (Springer-Chef Mathias Döpfner, dessen Welt und Mopo Stolte künftig herausgeben wird). Eine ganz unbekannte Seite des Dieter Stolte hat Iris Berben aufgedeckt: „Er ist ein Mann, den ich als Frau sehr schätze“ (???) ALK FOTO: ZDF
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