DER STAATENBUND SERBIEN UND MONTENEGRO HAT KEINE ZUKUNFT: Zum Kompromiss gezwungen
Als ein historisches Ereignis kann man den Übergang der Bundesrepublik Jugoslawien in den Staatenbund Serbien und Montenegro wohl kaum bezeichnen. Die Vertreter der beiden Teilrepubliken machten unter dem Druck des EU-Außenbeauftragten, Javier Solana, gute Miene zum bösen Spiel. Sie einigten sich mürrisch auf eine Kompromisslösung. Diese gibt dem bestehenden, im Grunde genommen unhaltbaren Zustand einen rechtlichen Rahmen. Der schon 1988 lebensunfähig gewordene Bundesstaat hat jetzt die Form einer losen Konföderation mit ungewisser Zukunft angenommen.
Die bitterste Pille musste Montenegros Präsident Milo Djukanović schlucken. Die von ihm feierlich versprochene Unabhängigkeit der kleinen Adriarepublik musste er gegen die dringend nötige finanzielle Unterstützung der EU eintauschen. Dadurch ist seine Machtposition in Montenegro gefährlich erschüttert. Es bleibt ebenfalls unklar, wie die garantierte Gleichberechtigung Montenegros im Bund mit dem zehnmal größeren Serbien erreicht werden kann.
Auch Serbien ist gegenüber dem von der EU vermittelten Abkommen äußerst skeptisch. Der politisch einflussreiche Gouverneur der jugoslawischen Notenbank und Jugoslawiens Vizepremier warnen vor einem gemeinsamen Staat mit getrennten Märkten, getrenntem Zoll und verschiedenen Währungen. Dieses künstliche Staatsgebilde kann nur als eine Übergangslösung betrachtet werden. Die Stimmen gegen einen gemeinsamen Staat unter solchen Bedingungen werden in Serbien immer lauter.
Für die pragmatische Politik der serbischen Regierung ist am wichtigsten, dass der neue Staatenbund alle internationalen politischen und wirtschaftlichen Verträge Jugoslawiens übernimmt und somit die Wirtschaftsreformen nicht gebremst werden. Serbien und Montenegro behält seinen Platz in UNO und OSZE, die Verträge mit der Weltbank, dem IWF, dem Londoner und dem Pariser Klub bleiben gültig.
Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica glaubt als strahlender Sieger dazustehen, der den Fortbestand des Staates im letzten Augenblick retten konnte. Die zu erwartende Unzufriedenheit wird sich aber auf sein Haupt entladen.
Der EU-Beauftragte Javier Solana hat sein Ziel erreicht. Er hat neue Grenzziehungen auf dem Balkan vorerst verhindert, die stets einen Dominoeffekt hatten. Es besteht allerdings die Befürchtung, dass ein Phantomgebilde entstanden ist – wie Bosnien und Herzegowina nach dem Abkommen von Dayton, wie das Kosovo nach den Lufangriffen der Nato auf Jugoslawien oder wie Mazedonien nach der Vermittlung von Solana. ANDREJ IVANJI
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