Transparenter Strom

EU: Auf jeder Stromrechnung soll künftig stehen, wie dreckig die Kraftwerke sind. Atomkonzerne dürfen Ersparnisse für Unfälle nicht mehr beliebig verwenden

FREIBURG taz ■ Die Europäische Union überholt die rot-grüne Bundesregierung jetzt auch beim Ökostrom: Das Parlament in Straßburg hat sich dafür ausgesprochen, dass Stromversorger ihren Kunden künftig regelmäßig mitteilen müssen, welchen Strommix sie liefern.

So sollen alle Lieferanten dazu verpflichtet werden, auf jeder Rechnung, in jeder Anzeige und auf allen Werbeschriften anzugeben, aus welchen Quellen der angebotene Strom stammt. Gleichzeitig müssen die Unternehmen darstellen, welche Mengen an Treibhausgas sowie Schwefel- und Stickoxiden sie pro Kilowattstunde emittieren. Und schließlich soll der Kunde auch erfahren, wie viel Atommüll bei der Erzeugung seines Stroms anfällt. Kurz: Der Strommarkt soll durchschaubarer werden.

Eine satte Mehrheit von 484 der 625 Straßburger Parlamentarier sprach sich am späten Mittwoch für die neue Markttransparenz aus, die auch von der Europäischen Kommission in Brüssel unterstützt wird. Jetzt muss die Direktive nur noch durch den europäischen Ministerrat, dessen Position noch unsicher ist. Der federführende grüne Europaparlamentarier Claude Turmes aus Luxemburg ist jedoch optimistisch, dass das Gesetz auch diese letzte Hürde schaffen wird. Denn schon im Parlament, wo es anfangs auch zahlreiche Kritiker gab, habe eine intensive Diskussion schließlich zur wichtigen Erkenntnis geführt, dass die Markttransparenz dem Wettbewerb dient: „Man kann Wettbewerb nicht nur anhand des Preises führen“, sagt Turmes.

Dass die Deklaration trotz zunehmendem Handel an Strombörsen ohne großen Aufwand realisierbar ist, haben andere Länder längst bewiesen. In den USA haben schon 19 Staaten eine Deklarationspflicht eingeführt, eine Reihe weiterer Staaten arbeitet daran. Ferner gibt es seit vergangenem Herbst in Österreich ein solches Label. Und längst liebäugeln auch die Niederlande, die Schweiz und Teile Australiens damit.

Unterdessen ist die Kennzeichnungspflicht nicht das einzige Instrument, mit dem die EU mehr Gerechtigkeit auf dem Strommarkt schaffen will. Mit überragender Mehrheit hat das Parlament zeitgleich einem Gesetz zugestimmt, das als Breitseite gegen die in dieser Sache untätige deutsche Regierung zu werten ist: Die Atomkonzerne dürfen demnach in Zukunft ihre milliardenschweren Rückstellungen nicht mehr für Einkaufstouren im Energie- oder Telekommunikationsmarkt nutzen, sondern müssen diese in separaten Fonds parken. Ein unabhängiges Gremium soll darüber wachen, dass das Geld, das für Abriss der Anlagen und Entsorgung des Atommülls verplant ist, beizeiten auch tatsächlich verfügbar ist.

Doch die Atomfirmen erhalten noch eine Schonfrist. Denn es steht mit den beiden genannten Klauseln ein ganzes Paket zur Fortschreibung der Strommarkt-Liberalisierung zur Abstimmung. Und das wird Frankreich bis nach den Präsidentschaftswahlen am 21. April mit Sicherheit blockieren. Denn am freien Strommarkt will kein französischer Politiker sich die Finger verbrennen – schließlich fürchtet der französische Staatsmonopolist Electricité der France (EdF) den offenen Markt wie der Teufel das Weihwasser.

BERNWARD JANZING