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Der „Merkur“ kommt jetzt jede „Woche“

Todsünde Neid: Die Abonnentenkartei der „Modernen Wochenzeitung“ für die gebildeten linken Durchschnitts-Vierziger gehört jetzt dem „stramm klerikalen Blatt“ aus dem Rheinland. Wie lange das gut geht, ist ungewiss

„Ach, der Merrrkur! Den han ich doch janisch bestellt!“, mag es dem ein oder anderen Rheinländer entfahren sein, als er am Freitagmorgen den Briefkasten öffnete. Bei aller Überraschung über den (um einen Tag verspäteten) Woche-Ersatz hat er noch einen Vorteil gegenüber den meisten ehemaligen Abonnenten: Er kennt den Rheinischen Merkur wenigstens. Viele werden ihn zum allerersten Mal in den Händen gehalten haben und etwas irritiert gewesen sein: „Wie, schon wieder ein neues Layout?“ Gab es doch eine Woche vorher fast schon erboste Leserbriefe wegen des eben erfolgten Liftings: „Hilfe, wo ist meine schöne Woche geblieben?“ Tja, lieber Uwe Spille aus Villingen-Schwenningen, die gibt’s nicht mehr. Aber viel härter dürfte es Matthias Wagner aus Freiburg getroffen haben: „Insgesamt kommt das Layout schrecklich langweilig, quadratisch, praktisch und bieder daher“ – und er meinte damit die Woche! In dieser Hinsicht ist der Rheinische Merkur dann die konsequente Fortsetzung: quadratischer, biederer – und unpraktischer, weil deutlich größer.

Da der Rheinische Merkur solch ungebetene Überraschungen vorausgesehen hat, heißt er die neuen Leser diese Woche gleich auf der Titelseite in einem kurzen Artikel willkommen. „Liebe Leser der Woche“, heißt es da unter einem Abbild der verblichenen Zeitung „Sie sind um die vierzig, gebildet, erfolgreich, kritisch, links von der Mitte.“ Und: „Wir mögen Sie trotzdem!“ Hoppala, die gehen aber ran! So wird man selbst im Berliner Zeitungskrieg nicht umworben. Aber es geht noch weiter: Die Merkur-Redaktion outet sich selbst auch als ehemalige Leser, die Woche sei „in unbeobachteten Momenten besonders häufig aus dem Büro verschwunden“ – Diebstahl bei einer Zeitung, die sich selbst den Ruf eines „stramm klerikalen Blattes“ zuschreibt.

Nach der frechen Einleitung geht es so locker-flockig weiter, wie sonst nirgendwo im Blatt, denn schließlich will man diese linken, aber auch „vorurteilsfreien und toleranten“ Woche-Leser gern übernehmen. Geworben wird damit, dass der Merkur jede Woche kommt, Farbe hat und irgendwo „mittendrin“ ist. Das alles war der „RM-Redaktion“ dann wohl doch eine Spur zu anbiedernd, und so haben sie zum Schluss schnell noch einen Absatz angefügt, der das „Gerede“ offen zum Blödsinn erklärt und zugibt, dass man nur auf Abokunden scharf ist. Ob das gut geht?

Dabei hat gerade in den Zeiten des Kölner Spendenskandals eine rheinische Zeitung in den Händen eines ehemaligen Woche-Lesers ihre Vorzüge. Lernt man doch endlich, wie der Rheinländer an sich tickt. Die Zeitung als Blick in die rheinische Seele sozusagen. Dass die gern klüngelt, wissen ja mittlerweile selbst taz-Leser, aber warum, das weiß nur der Merkur: „Da het de Düwel singe Finger im Spel!“ – so lautet eben der Schluss, wenn im Blatt von der „Todsünde Neid“ die Rede ist. Denn außer Klüngel gibt es im Rheinland noch die Religion: im Merkur nicht erst auf Seite 23 mit dem Buch „Christ und Welt“. Hier gibt’s leider keinen besinnlichen Nachruf auf die Woche, sondern Höheres: „Warum Gott sterben musste“. Da kann man nicht meckern – an so brisante Themen traut sich keine andere Zeitung.

MARKUS MÜNCH

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