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Die Mitte ist grün

Der Vorstand hasst den Erlebnishunger der Basis. So wurde jeder Konflikt schon im Vorfeld zum Konsens umgemodelt

Eine hundertprozentige Ökolandwirtschaft? „Das könnte der Bauernverband gegen uns verwenden.“

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Delegierte möchten etwas erleben auf grünen Parteitagen. Man opfert doch nicht ein ganzes Wochenende, nur um insgesamt 26 Stunden still zu sitzen und brav seine Stimmkarte zu heben. Irgendwann muss „Krawall“ sein. „Schon um wach zu bleiben“, wie es eine Delegierte aus Schleswig-Holstein formulierte. Das ist verständlich – aber der grüne Bundesvorstand hasst den Erlebnishunger der Basis. Und so wurde auch bei diesem Parteitag jeder gefährliche Konflikt schon im Vorfeld ausgeräumt und zum „Konsens“ umgemodelt.

Aber so leicht lässt sich die Basis nicht um ein Erlebnis bringen. Dann knallt es eben unerwartet. Diesmal wollte der Landesverband Rheinland-Pfalz nicht auf ewig mit den US-Militärbasen vor Ort leben und forderte plakativ, die Bunker der Cruise-Missiles zu Rap-Diskotheken umzubauen. Das war die mündliche Begründung, schriftlich las sich das trockener. Ein unauffälliger Halbsatz sollte gestrichen werden.

Aber „Joschka“ war alarmiert: „Ich möchte nicht, dass sich Magdeburg wiederholt!“ Vor vier Jahren hatte der Parteitag realitätsfern beschlossen, fünf Mark Ökosteuer für den Liter Benzin zu fordern. „Buuuhh!!“, schallte es zurück. Jeder sah die Schlagzeile schon vor sich: Grüne fordern: „Ami, go home!“ Und ungefähr die Hälfte der etwa 700 Delegierten wäre dazu auch bereit gewesen. Aber ausgerechnet die Rheinland-Pfälzer machten nicht mit: „Wir wussten ja nicht, was wir hier auslösen!“ Damit brach die Spontanopposition zusammen, Magdeburg wiederholte sich nicht. Der grüne Wahlkampf kann störungsfrei weitergehen.

Und so endete der Parteitag, wie er begonnen hatte: als ein fleißiges und unaufgeregtes Arbeitstreffen. Allerdings bezweifelten selbst die Delegierten, dass die Wähler die knapp hundert Seiten des Grundsatzprogramms je lesen können. Aber darum ging es nicht. Die Partei wollte sich selbst vergewissern, wollte nach vier Jahren Regierungsverantwortung wissen, was noch grün ist. Höchstens von der Präambel wurde erwartet, dass sie später „in jedem Schulbuch abgedruckt ist“. Entsprechend leidenschaftlich wurden die neun Seiten diskutiert. Ein Ergebnis: Es bleibt dabei, dass sich die Grünen nicht mehr als „links“ definieren.

Aber bisher war noch jeder Parteitag gerecht, durften auch die Linken immer einen Sieg davontragen. Diesmal wurde ihnen gestattet, recht pauschal gegen die internationalen Finanzmärkte anzugehen. Ein junger Realo war fassunglos: „Man kann doch nicht für eine Weltinnenpolitik sein und dann gegen die Globalisierung stimmen!“

Doch war dies nur noch eine Miniaturausgabe früherer Auseinandersetzungen. Wirklich linke Positionen wie etwa der „Bodenzins“ erhielten nicht einmal ein Zehntel der Stimmen. Es dominierte der Pragmatismus. Als der Kreisverband München sich als „Vision“ eine 100-prozentige Ökolandwirtschaft wünschte, argumentierte Matthias Berninger, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium: „Das könnte der Bauernverband gegen uns verwenden.“ Als der Kreisverband Frankfurt forderte, das Ehegattensplitting nicht nur zu reformieren, sondern abzuschaffen, da antwortete die Finanzexpertin Christine Scheel: „Nicht verfassungsfest.“

Gelegentlich kam es zu Überraschungen. So stimmten die Delegierten zunächst für eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (siehe Interview). Doch gleich in der nächsten Abstimmungsrunde wurde das „Konzept der Flexicurity“ aus dem Programm gestrichen, obwohl dieses Positionspapier der Bundestagsfraktion unter anderem genau jene Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe beschreibt, die die Delegierten eben noch abgesegnet hatten.

Ergebnis der Debatte um die Präambel: Es bleibt dabei, dass sich die Grünen nicht mehr als „links“ definieren.

Dieses Chaos entstand nicht zufällig in der Arbeitsmarktpolitik. Gastredner Frank Bsirske, grüner Ver.di-Chef, kritisierte bei seinen Parteifreunden „zu starke Zugeständnisse an den neoliberalen Zeitgeist“.

Manchmal verstand überhaupt niemand mehr, warum Vorschläge „strittig“ debattiert wurden. So hielt Bundesgeschäftsführer Bütikofer eine etwas ratlose „Gegenrede“ gegen einen Antrag zur Tobin-Steuer: „Das Programm wird durch den Vorschlag nicht besser, sondern nur doppelt so lang.“ Das war wirklich neu: Grüne unterscheiden sich nicht mehr inhaltlich, sondern vor allem nach Seitenzahl.

Manche Delegierten fürchteten schon, dass auch die Grünen nur noch „das Wischiwaschi der neuen Mitte“ zu bieten haben.

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