: Erste Schritte ins Bildungswesen
■ Wächst bald zusammen, was zusammengehört? Die Grünen luden zu einer Tagung über Kindergarten und Schule / GEW-Vorsitzende: „Bis jetzt stand Auslese im Zentrum“
Von außen ist die Trennung kaum verständlich, politisch aber ist sie der Normalfall: Kindergärten gehören zum Sozialressort, Schulen fallen in die Zuständigkeit der Bildungspolitiker. Dass beides – Bildung und Soziales – zusammengehört, hat die Pisa-Studie auf negative Weise deutlich gemacht: Nirgendwo in Europa ist es um die Chancengleichheit so schlecht bestellt wie in Deutschland.
Ein dickes Lob stand daher am Anfang der Veranstaltung „Kindergärten – Bildungsgärten“, zu der die grüne Sozialpolitikerin Anja Stahmann gemeinsam mit dem bildungsspolitischen Sprecher Dieter Mützelburg in den Börsenhof geladen hatte. „Toll, dass die Arbeitsfelder für diese Fachtagung an einem Strang ziehen“, freute sich Eva-Maria Stange, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Ansonsten aber fand die kämpferische Frau aus dem Osten der Republik deutliche Worte für die (west-)deutsche Erziehungspolitik: „Jahrelang ist eine verfehlte konservative Bildungs- und Familienpolitik von der heilen Familie ausgegangen, die dann vom so genannten Ernst des Lebens, von der Schule, abgelöst wird.“ Heute, nach ,Pisa', seien sich plötzlich alle einig, dass Kindergärten einen bildungspolitischen Auftrag hätten und die Ganztagsbetreuung notwendig werde.
Dass die Bremer Grünen und jetzt auch die Bundespartei gebührenfreie Kindergartenplätze für mindestens sechs Stunden pro Tag fordern, begrüßte Stange daher ausdrücklich.
Anja Stahmann hatte die Tagung vor gut 150 Erzieherinnen und Erziehern eröffnet. „Bei der Bremer Diskussion um flexible Betreuungszeiten ging es nur um Organisation, weniger um das Thema, was wir den Kindern für Lernerlebnisse verschaffen.“ Und doch müssten die Voraussetzungen stimmen. „Bei uns gilt eine zweite Betreuungskraft schon als Luxus.“ Kitas würden hauptsächlich als Betreuungsangebot aufgefasst. „Dabei ist der wichtigste Auftrag ein anderer: fördern, bilden und erziehen“. Schon daraus ergebe sich, dass Kindergärten gebührenfrei sein müssten – wie die Schulen auch. Noch nicht mal besonders teuer wäre dieser Schritt in die richtige Richtung: „Mit sieben Millionen Euro pro Jahr könnte man das in Bremen umsetzen“.
Die GEW-Vorsitzende Stange dazu: „Aber Bildung gilt noch immer als konsumtiver Bereich und ist stets auf der Kürzungsliste“. Sie appelierte an die politischen Entscheidungsträger, – von denen keiner an der Tagung teilnahm – ihre Blockade-Politik für einen Bund-Länder-Modellversuch aufzugeben: Berlin und Schleswig–Holstein wären gern Vorreiter bei der Ausbildung der ErzieherInnen an Fachhochschulen. Die meisten Länder, darunter Bremen, blockieren dies aber aus Angst vor den höheren Gehältern, die sich aus einer bundesweit verpflichtenden Ausbildung an Uni oder Hochschule ergäben.
Aber Geld ist nicht alles. Ursula Carle, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Bremen, holte historisch weit aus, um zu zeigen, wie alle Versuche von Arbeiterparteien oder liberalen Kräften, Kinderbetreuung und Bildung anzunähern, vereitelt wurden.
Gewerkschafterin Stange spitzte ihre These auf die Gegenwart zu: „Auslese steht im Mittelpunkt des deutschen Bildungssystems. Dass heute zwölf Prozent aller Kinder vom Schulbesuch zurückgestellt werden, ist in diesem Zusammenhang eine alarmierende Zahl.“ Auch dass die Investitionen umso größer sind, je weiter man auf dem Bildungsweg fortgeschritten ist – am meisten Geld geht in die Uni, am wenigsten in die Kindergärten – erzeugt, so Stange, das Gegenteil von Chancengleichheit.
Elke Heyduck
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