Reportage Palästina/Israel 2008: Die andere Seite der Mauer

Fruchtbare Olivenfelder ohne Ernte auf der einen, ein „einfach perfektes“ Leben auf der anderen Seite. Begegnungen mit engagierten Gruppen in Palästina. Die Journalistin Jasna Zajcek begleitete die erste taz-Reise nach Palästina 2008

Manche dürfen durch, andere werden zurück geschickt: Palästinenserinnen am Checkpoint. Bild: dpa

Palästina ist ein umständlich zu bereisendes Stück Erde. Das komplizierte Straßennetz lässt Individualreisen fast unmöglich werden. Einige Straßen sind nur für Israelis, andere nur für Palästinenser zugänglich. Zudem liegt es im Ermessen der israelischen Armee, die an die 600 Checkpoints im Westjordanland aufrecht erhält, Reisende anzuhalten und ihnen die Weiterfahrt zu verbieten. 

Die erste Tour der taz-„Reisen in die Zivilgesellschaft Palästinas“ führt durch das wohlhabende und saubere Ramallah. Ein ungewöhnlich erfreulicher Anblick: keine Trümmer, kein Schutt, keine Fatah-, Hamas- oder Dschihad-Flaggen. Nur wenige verblichene Märtyrerposter an den Häuserwänden erinnern an die heiße Zeit der letzten Intifada. Eigentlich passt der Begriff „Reisegruppe“ auf unsere reisende Gemeinschaft nicht so richtig.

Hier reisen engagierte, informierte Individualisten, die schon monatelang durch Asien, Südamerika und im Rest der Welt tourten. Um die Zivilgesellschaft Palästinas kennen zu lernen, die von ausländischen Nichtregierungsorganisationen mühsam genährt wird, ist es in dieser Region der Welt allerdings nicht schlecht, mit Experten zu reisen.

Die gute Laune in der Gruppe verflüchtigt sich bei einem Stopp auf einem der zahlreichen Hügel, die Ramallah umgeben. Fotograf Majdi, der als lokaler Guide fungiert, erklärt uns, welche grünen Hügel mitten im ausgedörrten Westjordanland israelische Militärposten und Siedlungen seien. Er berichtet von Schikanen, Demütigungen und der Unmöglichkeit für Palästinenser, Oliven auf – offiziell palästinensischem – Gebiet zu ernten. Schließlich könnten es als Olivenpflücker getarnte Terroristen sein, und gegen diese sitzt die Waffe locker.

Palästinenser demonstrieren gegen den Grenzzaun, der sie von ihren Ländereien und Olivenhainen trennt. Bild: dpa

Auch dass Ramallah nur an zwei Tagen in der Woche Wasser hat, erschreckt uns. Schließlich floriert die israelische Obst- und Gemüse-Exportwirtschaft, genau wie die Gärten der Siedlungen mit ihren Swimmingpools.

Der Ausdruck „Besatzung“ ist optisch eindringlich: Wohin wir auch fahren – zur Grabstätte des Abraham im geteilten Hebron, zur Geburtskirche Jesu in Bethlehem oder in die Heilige Stadt Jerusalem: Am Horizont ist stets die Mauer, der „antiislamistische Schutzwall“, in Sicht. Er ist zu großem Teil hinter der grünen Linie, die die Grenze zwischen Israel und Palästina markiert, also illegal auf palästinensischem Gebiet, gebaut.

Nun können Projekte wie die Dialoggruppen der israelisch-palästinensischen „Frauen gegen Checkpoints“ nicht mehr stattfinden, denn die Mitglieder dürfen sich nicht mehr treffen, obwohl sie oft nur zehn Autominuten entfernt voneinander leben. Palästinenser dürfen nicht mehr aus ihren ummauerten Enklaven nach Israel oder in die jüdisch besiedelten Teile des Westjordanlands. Israelis ist es per Gesetz verboten, Palästina zu besuchen.

Der Dialog ist gekappt, legt uns die Autorin Sumaya Farhart-Nasar beim Abendessen eindringlich dar. Aber wie auch andere Palästinenser, die wir noch treffen sollten, überrascht sie durch unbändigen Lebenswillen, trotz widrigster Umstände. Bei jedem Gespräch wird uns klar, dass die palästinensische Zivilgesellschaft nur durch NGOs, Nichtregierungsorganisationen, aufrecht erhalten werden kann. Beispielsweise bei RIWAQ, einer Initiative, die als innoffizielles Katasteramt Palästinas fungiert und sich um den Erhalt archäologischer Bauten bemüht, oder bei der Musikschule „Al-Kamanjati“, in der Kinder auf Instrumenten europäischer Spender von internationalen Freiwilligen unterrichtet werden.

Die Mauer ist zum großen Teil illegal auf palästinensischem Gebiet gebaut. Bild: Johannes Weber

Palästina ist auf internationale Hilfe angewiesen: Der Export von Agrarprodukten ist aufgrund kompliziertester israelischer Bestimmungen nahezu unmöglich, Produktionsfabriken gibt es nicht. Ein wenig Tourismus wird durch eine NGO gefördert, dies ist aber längst noch kein ernst zu nehmender Wirtschaftszweig. Kulturelles Leben wäre ohne ausländische Hilfe vollkommen unmöglich.

Wir besuchen das „Freedom Theatre“-Projekt in Dschenin. Viele Attentäter der Intifada kamen aus Dschenin, was die israelische Armee 2002 dazu veranlasste, die Stadt und das angrenzende Flüchtlingslager zehn Tage lang zu belagern, zu Luft und zu Boden zu beschießen und Teile dem Erdboden gleich zu machen. Dschenin gilt als „Terrornest“. Die zahlreichen Soldaten an den israelischen Checkpoints nehmen von uns kaum Kenntnis, blicken nur sehr unverständig, als wir als Reiseziel "Dschenin" angeben. Wahrlich kein Ausflugsziel für normale Touristen.

Mitten im alltäglichen Elend werkeln junge Menschen an einer Theaterbühne. Ringsherum Steinwüste. Dschenin ist ein mühsam wieder aufgebautes Flüchtlingslager, welches die Einwohner nicht verlassen dürfen. Das ist Realität seit 1953. Märtyrerplakate an fast jedem betongrauen Haus. Die Aussichtslosigkeit und die Beklemmung des Camp-Lebens ist spürbar. An was will man als junger Mensch hier glauben, wenn nicht an den Freiheitskampf? Das "Freedom Theatre" schafft das Unmögliche: Es bringt junge Männer weg von dem für sie lange Zeit einzig erstrebenswerten Ziel, „Märtyrer“ zu werden.

Wir fragen einen der jugendlichen Schauspieler, ob seine Freunde ihn nicht drängen würden, zur Waffe zu greifen, sich ausbilden zu lassen und sein Land wie ein Mann und nicht auf der Bühne zu verteidigen. „Selbstverständlich“, antwortet er, „mein Vater fordert mich dazu auf, meine Cousins und Freunde. Ich aber berichte ihnen von dem kulturellen Widerstand, den ich hier leiste, denn die Israelis versuchen nicht nur, uns physisch und psychisch, sondern auch kulturell zu brechen. Dagegen kämpfe ich mit dem Theater!“ Die Vorstellungen werden rege besucht. Das gibt den Schauspielern die Bestätigung, gegenüber ihrer militant geprägten Umgebung durchzuhalten.

Auf unserer Reise besuchen wir auch eine israelische Siedlung im Westjordanland. Um die andere Seite zu verstehen, die es weiterhin in diese – völkerrechtlich illegalen – Siedlungen zieht. Unser Gesprächspartner, ein nichtreligiöser Siedler, gibt sich einsichtig: sobald es einen "anerkannten Staat Palästina" gäbe, würde man all diese Siedlungen räumen. Da aber „nicht absehbar“ sei, wann „die anderen“ sich auf irgendetwas einigten, könne man in diesen Siedlungen, geschützt durch die Mauer und ständig patrouillierende Soldaten, preiswert und sicher, „einfach perfekt“ leben.