: Nachfrageelastisch auf dem leeren Lehrermarkt
■ Geteilte Reaktionen auf Senatoren-Brief an Lehrer. Fachoberschulen werden geschlossen
Geteilt sind die Reaktionen auf den Brief von Schulsenator Rudolf Lange, den die taz gestern veröffentlichte. „Ich begrüße die Aussage, dass es keine Lehrermehrarbeit geben soll, ausdrücklich“, sagt die Vorsitzende der Hamburger Lehrerkammer, Margarete Eisele-Be-cker. Eine Pflichtstundenerhöhung hätte zur Folge, dass weniger junge Kollegen eingestellt werden, „die wir ganz dringend brauchen“.
Arno Becker, Sprecher des Deutschen Lehrerverbands, vermutet hinter der „netten Verpackung“ eine weniger nette Botschaft: „Irgendeine Sparmaßnahme wird kommen. Die 100 Neueinstellungen reichen nicht mal aus, um die Pensionierungen auszugleichen.“
Wie berichtet, hat der Senator den 16.000 im Schuldienst Beschäftigten zugesichert, dass es unter ihm keine Arbeitszeitverlängerung und Gehaltskürzung geben werde. Das Schreiben enthält jedoch kein Wort über die ebenfalls diskutierte Vergrößerung der Klassen. „Dies lässt die Inklusion zu, es ist noch nicht vom Tisch“, sagt Elternkammer-Sprecherin Sabine Bick. Auch Becker befürchtet, „dass so etwas kommt“. Denn ab 2003 gehen jährlich 800 Lehrer in Pension. Becker fürchtet, dass dieser Umbruch für Einsparungen genutzt werde, weil es schlicht an ausgebildetem Nachwuchs fehle: „Der Markt ist bundesweit leergefegt.“ Eine Erhöhung der Klassenfrequenz ginge jedoch „zu Lasten des Kindes und der Eltern“. Schon jetzt widme ein Lehrer einem Schüler rein rechnerisch pro Schulstunde nur eine Minute.
Auch den vier Hamburger Fachoberschulen (FOS) für Wirtschaft, Gestaltung, Sozialpädagogik, Ernährung und Bekleidung hatte der Senator etwas mitzuteilen: Per E-Mail erhielten sie jetzt die Nachricht, dass sie abgeschafft würden. „Wir befinden uns mitten in den Bewerbungsgesprächen. Die Schulabgänger wissen jetzt nicht, was sie statt dessen tun sollen“, sagt Ulrich Moritz von der FOS für Wirtschaft und Verwaltung am Holzdamm. 100 Bewerber hätten sich bereits angemeldet. „Denen müssen wir jetzt allen absagen.“
„Um jetzt noch eine Lehrstelle zu bekommen, ist es reichlich spät“, sagt auch Anke Elger-Miehe von der FOS Sozialpägagogik am Brekelbaums-Park. Sie muss 200 jungen Leute mit Realschulabschluss absagen, die über die zweijährige Fachoberstufe die Qualifikation für den Besuch einer Fachhochschule erwerben wollten.
Doch statt ihr Glück auf dem zweiten Bildungsweg zu versuchen, sollen die Schulabgänger in einem Brief vom Senator persönlich dazu aufgefordert werden, sich einen dualen Ausbildungsplatz zu suchen. „Für unsere Sparte eine Illusion“, wie Schulleiter Hans-Günther Dittrich von der Wandsbeker FOS Gestaltung sagt: „Raumausstatter und Tischler bilden kaum noch aus.“
„Es gab Kritik, dass dem Arbeitsmarkt Arbeitkräfte fehlen“, erklärt dagegen Behördensprecher Hendrik Lange. Deshalb nehme man zusammen mit der Handelskammer eine „Umberatung“ der Schulabgänger vor. Lange: „Die Pläne wurden im Einvernehmen mit Handelskammer und Arbeitsamt erstellt.“ Die Schließung treffe keineswegs ganze Schulen, sondern „nur einige Bildungsgänge“, neben den vier FOS sind noch zwei Berufsfachschulen auf der Liste.
In der Tat gehört die Schließung von Berufsfachschulen zu den Forderungen von Handwerks- und Handelskammer. „Unsere Erfahrung ist, die Leute entscheiden sich für diese Schulen und gucken sich Alternativen nicht mehr an“, sagt Inge Bornemann von der Handwerkskammer. Mittlerweile suche nur noch jeder zweite nach einer Lehre. Bornemann: „Der Lehrstellenmarkt ist nachfrageelastisch. Ich schätze, dass wir 500 bis 1000 Stellen mehr besetzen können.“
„Viele Realschulabgänger sind mit 16 nach Einschätzung der Betriebe für eine kaufmännische Laufbahn einfach zu jung“, sagt dagegen Lehrer Ulrich Moritz. „Die Stellen, die die Kammer anbietet, sind Tankstellenverkäufer, Metzger oder Koch.“
Schulleiter Dittrich hat für seine Schule noch eine Gnadenfrist in Aussicht gestellt bekommen. „Wenn unsere Bewerber keine Lehre bekommen, wird die Behörde im Mai entscheiden, ob wir doch noch mal eine Klasse einrichten dürfen.“ Die Schüler müssten dann aber mit Ablehnungschreiben dokumentieren, dass sie sich bemüht haben. Kaija Kutter
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