: Am Baikalsee
■ Das „Theater 62“ feiert seinen 40. Geburtstag / Gründer Michael A. Wenz schickte die Stadtmusikanten nach Gobi
In Russland, Litauen und der Mongolei rennen die Bremer Stadtmusikanten regelmäßig offene Türen ein. Egal, ob am Rande der Wüste Gobi oder auf der Insel Olchon – überall, wo das Theater 62 die „Bremer Stadtmusikanten“ auf die Bühne bringt, kennt man das Stück bereits. „In Osteuropa muss jedes Kind in der 2. Klasse im Rahmen des Lehrplans das Märchen lernen“, erzählt Spielleiter Michael A. Wenz. Sprachprobleme gibt es keine. Zumal Wenz das Märchen präsentiert als „Vor- und Mitspieltheater“. Die Grenze zwischen Bühne und Publikum wird aufgehoben. Wenz, 55, ist einer, der Grenzen gerne aufhebt.
Mit 15 Jahren hat er ein Theater gegründet, und weil das im Jahr 1962 war, hat er sich für den Namen „Theater 62“ entschieden. Das erste Stück auf dem Spielplan war das „Tapfere Schneiderlein“. Den Schwerpunkt Kindertheater hat Wenz beibehalten, wenngleich die Stammtruppe „Theater 62“ mit Mitgliedern zwischen 18 und 72 Jahren auch Stücke von Günter Grass und Ephraim Kishon spielt. Ausschließlich um Kinder- und Jugendtheater geht es in den später gegründeten Gruppen „Theater 62 + junior“ für SchauspielerInnen zwischen zehn und achzehn Jahren und „Theater 62 + minis“ für die Vier- bis Neunjährigen.
Das alles klingt nach einem engagierten, soziokulturellen Theaterverein – zumal das „Theater 62“ nicht subventioniert wird und seine Kosten nur durch Mitgliedsbeiträge und Eintrittsgelder der jährlich 120 Vorstellung deckt. Aber Wenz, gelernter Fotograf und seit zehn Jahren „der Einzige, der 100prozentig hauptamtlich, aber ehrenamtlich“ im Theater 62 arbeitet, hat das stadtteilbezogene Projekt ins Internationale erweitert. Auslandstourneen haben das Theater in fast alle Länder Osteuropas geführt. Finanziert von den Reisenden selbst und minimal bezuschusst vom Auswärtigen Amt.
Die Tourneen stehen in Zusammenhang mit handfester humanitärer Arbeit: 1982 organisierte Wenz einen Hilfstransport mit gespendeten Arzneimitteln, Kleidung und Spielwaren ins polnische Gdansk und fing an, Hilfstransporte und Gastspiele – wo möglich – miteinander zu kombinieren. Wenz zählt seitdem 94 Transporte mit Gütern im Wert von über 10 Millionen Mark und 69 Auslandstourneen mit über 70.000 Zuschauern.
Entstanden sind durch das „Schneeballsystem“ eine Vielzahl an Kontakten, „seltsamer Weise sehr häufig mit Puppentheatern.“ Wenn es Schwierigkeiten mit den Behörden gibt – wie mit dem Kulturreferenten der mongolsichen Botschaft – dann meint Wenz: „So was spornt mich an.“ Damit kommt er weit: Nicht nur, dass er jede bürokratische Hürde nimmt, Wenz spielt mit seiner Truppe in Osteuropa auch gerne in Gefängnissen oder auch mal „auf einem russischen Kriegsschiff vor ein paar hundert Kadetten“.
Kuriose Situation, stellt man sich vor, wie die Kulissen harter Realität kontrastiert werden mit der Ästhetik des „Theaters 62“: „Wir spielen die Stücke so, wie der Autor sich das gedacht hat.“ Da gibt es bei den „Bremer Stadtmusikanten“ natürlich Katze, Esel und Gockel, die sieben Zwerge tragen Zipfelmützen und haben Bärte, und das Tapfere Schneiderlein betritt im mittelalterlichen Wams die Bühne. Die Werktreue wird möglich, weil Wenz auf Schauspieler jeden Alters zurückgreifen kann. „Im Augenblick suchen wir wieder eine Pippi für Pippi Langstrumpf. Das Mädchen darf dann nicht älter als zwölf Jahre sein.“
Im Stil des Wandertheaters hat die Truppe ein veränderbares „Bühnenmetallgestell“ dabei, mit dem sie jeden denkbaren Ort zum Theater umfunktionieren kann. Im heimischen Bremen gibt es allerdings auch einen „Lebensmittelpunkt“, und der ist der Theatersaal in der Schule an der Lessingstraße. Dort feiert sich das Theater 62 an diesem Wochenende mit einigen Aufführungen aus 40 Jahren Theaterarbeit. Doch – und das ist der große Wunsch von Michael A. Wenz – bald schon könnte es ein eigenes Haus für das Theater 62 geben. Im Gespräch ist der ehemalige Luftschutzbunker an der Lessingstraße – einmal mehr kein gerade märchenhaftes Ambiente. Aber wenn Wenz davon spricht, dann leuchten seine Augen: Nicht nur Theater möchte er dort veranstalten, auch eine Kinderdisco und Kammerkonzerte soll es dort geben. Und: „Wir wollen ein plattdeutsches Programm machen.“ Klönschnack mit den Alten. Wenn Wenz da selbst hingeht, dann wird auch auf jeden Fall einer da sein, der viel zu erzählen hat.
Klaus Irler
Die nächsten Jubliläumsaufführungen sind: Fr, 22.3., um 16 Uhr „Der Rattenfänger von Hameln“. Sa, 23.3., um 15.30 Uhr „Die Bremer Stadtmusikanten“. So, 24.3., um 15.30 Uhr „Schneewittchen“. Jeweils in der Schule an der Lessingstrasse, St.-Jürgen-Straße 56.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen